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Land der Wunder

Wo eben nicht Milch und Honig fließen ...

... dort setzt dieser Film ein. Gut, mit Honig hat er viel zu tun, schließlich geht es um eine Familie, deren Broterwerb in der Imkerei besteht. Einfach fließen will und wird er indes nicht, die Arbeit ist hart, das Leben gleichsam, bereits eine anfängliche, adäquat visuell unterfütterte Diskussion über Stuhlgang macht klar, wie beengt die 12jährige Gelsomina mit ihren Eltern, Geschwistern und einer nahen Freundin auf dem Land eigentlich mehrheitlich existiert. Die Bienen bilden den Mittelpunkt, ehelicher Zwist kommt regelmäßig vor, und Gelsomina will immer häufiger bloß weg. Selbstbestimmt ihren Weg gehen.

Da steigt plötzlich eine Göttin herab, sie muß einfach ein Himmelswesen sein, schließlich steckt jene Milly im Körper Monica Belluccis. Die dann doch ziemlich Irdische ist TV-Moderatorin, lockt mit Flyern, ausladenden Haargebilden und Schmuck. Eine Fernsehshow sucht die „ursprünglichsten“ Bewohner, man möge regionale, eigenproduzierte Produkte – wie eben Honig – präsentieren und dafür als Gewinner der Sendung eine stolze Geldsumme nach Hause tragen. Gelsomina fasziniert solche Chance, aber Vater Wolfgang will davon gar nichts wissen.

Tradition trifft nun auf vielleicht flüchtige Moderne, alteingesessene Kargheit trotzt glitzerigem Glamour. Der Jury in Cannes war das ihren Großen Preis wert. Und warum? Vielleicht, weil realitätsnahe Abbildung nie verdeckt, wie poetisch die Kamera über rauhe, nichtsdestoweniger erhaltenswerte Gebiete streift und den Personen Raum zur Entfaltung läßt. Eventuell gefiel außerdem das hier entworfene fragile, nahezu schwebende Gefüge eines Zusammenseins zwischen Zwang und echter, sehr spezieller Zuneigung. Oder spielerisch hingetupfte Subtexte, man denke an einen halbwüchsigen Kriminellen, angestellt zur Resozialisierung, als möglicherweise letzte Maßnahme vor dem völligen Aufgeben.

Sei es, wie es sei: Regisseurin Alice Rohrwacher gelang ein sperriges, kaum unterhalten wollendes Werk, dessen Ecken und Kanten ungeschliffen nach außen ragen. Man zieht sich daran leicht gedankliche Splitter ein, die zum entzündeten Pochen neigen, rumoren, keine Ruhe geben. Abgründe gähnen, Masken fallen, selbst Göttin Milly legt schließlich ihre Verkleidung ab, gerät nun zur zwar schönen, normalen, allerdings auch etwas müden, verbrauchten Frau. Zweifellos eine Szene für die cineastischen Geschichtsbücher.

Originaltitel: LE MERAVIGLIE

I/D 2014, 111 min
Verleih: Delphi

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Monica Bellucci, Alba Rohrwacher, André Hennicke, Margarethe Tiesel, Sabine Timoteo

Stab:
Regie: Alice Rohrwacher
Drehbuch: Alice Rohrwacher

Kinostart: 02.10.14

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...