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Last Days

Von einem, der vor die Hunde geht

Ein Stück vor ELEPHANT glaubte man Gus van Sant, das einstige enfant terrible des unabhängigen amerikanischen Kinos, an den schnöden Mainstream verloren. Bis er sich besann, das verstörend stille Killerteenagerdrama drehte und mit dem delirierenden LAST DAYS in 2005 nachlegte. Unser Antiheld heißt Blake, aber man muß nicht im schnellebigen Popkosmos gewandert sein, um ihn mit einem Augenschlag als filmgewordene Wiederauferstehung von Kurt Cobain auszumachen.

Ein junger Mann mit vernachlässigtem Engelshaar zieht vorsichhinflüsternd durch Wälder, vorbei an kühlenden Bächen, und wer irgendwann depressiven Menschen begegnet ist, weiß sofort: Blake geht es elendig. Ist es Ironie, daß am Kühlschrank, nachdem er doch wieder ins Haus gefunden hat, ein Zettel pappt: "Das Gewehr ist im Schlafzimmerschrank."? Eher ist es geplante Vorsicht, falls im Drogenfieber selbst einfachste Erinnerungen erlöschen. Denn darum geht es: die Welt da draußen zu vergessen, zu verlassen, runter von der Bühne, weg von kreischenden Massen und den Erwartungshaltungen einer geldgeilen Maschinerie. Blake ist Popstar. Seine Bandfreunde wollen den Erfolg halten, den er nicht verarbeiten kann und bieten ihm für seine Probleme eine Lösung an: noch mehr Drogen.

Gus van Sant erweist sich als ernster Künstler, stellt sein im Inneren düsteres Porträt in eine lichtstarke Kulisse, zeigt Schmerz als stilles und einsam ausgetragenes Todesleid, arbeitet mit raffinierten Einstellungen, Geräuschen, die Endlichkeit verkünden, läutende Glocken, schlagende Uhren, mahnende Telefone ...

Und Blake selbst findet vor der manchmal tänzelnden, dann final torkelnden Kamera nur zur Sprache, wenn sie sich in einen dieser unvergleichbaren à la Nirvana-Songs bündeln läßt. Die erzählen von kompletter Zerrissenheit, stellen sich jeder platten Alles-wird-gut-Parole entgegen und offenbaren vor allem eins: die

schier endlose Pein, wenn sich das eigene Leben als kalt-dröhnender Widerhall anfühlt. Neben der formalen Helligkeit kontrastiert van Sant das Morbide aber auch mit Humor: in etwa wenn der berauschte Blake Mormonen oder einen Mann von den Gelben Seiten in seinem Haus begrüßt. Da blitzt gar etwas Geniales durch.

Das zentrale, irgendwie unikale Bild des Films werden unverbesserliche Spötter als Kitsch verraten. Sanftmütigere sehen pure Kunst darin: die aus dem toten Körper Blakes aszendierende Seele zieht in einen unschuldigen Friedenshimmel oder eben direkt in die Rockerhölle.

Originaltitel: LAST DAYS

USA 2005, 96 min
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Musik, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Harmony Korine

Regie: Gus van Sant

Kinostart: 15.02.07

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.