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Louder Than Bombs

Nahe und ferne Kriegsgebiete

Ranglisten werden aufgestellt, um zu helfen. So findet sich Joachim Trier seit seinem Langfilmdebüt von 2006 in allerhand internationalen Übersichten, die empfehlen, den Norweger nicht aus den Augen zu lassen. Umgekehrt hätte man Trier aber auffordern müssen, seinem angefixten Publikum mehr Stoff zu geben. LOUDER THAN BOMBS ist nämlich erst die dritte Gelegenheit, diesem ebenso intelligenten wie eleganten Kinoerzähler bei der Arbeit zuzuschauen – beim Biegen der Zeit, beim Drehen der Perspektiven, beim Wechseln von Deutungsrichtungen. Und diesmal sogar beim Kunststück mit einer schwebenden Ehefrau und Mutter.

Sie heißt Isabelle Reed und ist eine der anerkanntesten Kriegsfotografinnen der USA. Irak, Afghanistan, egal – kein Schlachtfeld kann ihr Angst einjagen. Nur im Alltag mit Ehemann Gene und den zwei Söhnen bleibt sie eine Art Gast. Jetzt, zwei Jahre nach ihrem Tod, der sie nicht etwa an irgendeiner Front, sondern auf einer nächtlichen amerikanischen Straße ereilte, soll ihr eine Retrospektive gewidmet werden. Die Vorbereitungen lösen ein sich zwischen Erinnerung und Gegenwart aufreibendes Familiendrama aus, in dem die Hinterbliebenen miteinander, mit der Toten, ihren zweifelhaften Gewißheiten und um die richtigen Worte kämpfen.

Mit Isabelle haben Trier und sein Koautor eine dramaturgische Figur erfunden, die mal wie ein Spiegel, mal wie ein Prisma funktioniert. In ihr brechen sich alle anderen Geschichten. Die des Witwers Gene, der um das Vertrauen der Söhne buhlt. Die des abweisenden Teenagers Conrad, der seine Computerhöhle nur verläßt, um dieses eine Mädchen anzuschmachten. Die des Überfliegers Jonah, Jungprofessor und selbst frischgebackener Vater, der mit der Mutter auch seine engste Vertraute verlor.

Isabelles Profession gibt dem Film einen großen gedanklichen Rahmen, in den die Kriegsgebiete jenseits des Atlantik, die im Nebenzimmer und die aus den Alpträumen passen – spielend. Und sie gibt ihm ein ästhetisches Programm, in dem es um Bilder vom anderen geht, die eben nicht alles und oft noch nicht einmal die Wahrheit sagen. Trier verfolgt eine Psychologie des Sehens, des korrumpierten Blicks, nicht des Köpfeknackens. Und da ist es nicht nur konsequent, sondern geradezu nötig, Szenen zweimal, dreimal, anders zu betrachten – und dabei zu staunen über eine stille, aber emotional zwingende Form des Suspense.

Originaltitel: LOUDER THAN BOMBS

DK/F/Norwegen/USA 2015, 108 min
FSK 12
Verleih: MFA

Genre: Drama

Darsteller: D: Isabelle Huppert, Gabriel Byrne, Devin Druid, Jesse Eisenberg, David Strathairn

Regie: Joachim Trier

Kinostart: 07.01.16

[ Sylvia Görke ]