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Mad Circus

Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt

Wie der „deutsche“ Titel verrät, spielt die Handlung im Zirkus, einem psychisch instabilen dazu. Doch obgleich drei Hauptfiguren Übersichtlichkeit garantieren, wird nie klar, wer hier das größte Monster ist: Sergio, Clown, sehr kinderlieb, davon weg indes auch heftig soziopathisch? Oder Artistin Natalia, welche eine bizarr-gewalttätige Beziehung mit Sergio pflegt, aber dennoch dem anderen Clown Javier schöne Augen macht? Selbiger verlor Kindheit und Vater an den Spanischen Bürgerkrieg und läuft als Zeitbombe auf Beinen herum, deren Ticken durch die Liebe zu Natalia immer lauter dröhnt. Es entbrennt ein Kampf um die Maid, in dessen Verlauf Javier seinem Konkurrenten das Gesicht zu Klump prügelt. Erst der Anfang ...

Zur Einschätzung, worauf man sich da einstellen muß, genügt ein Name: Álex de la Iglesia. Spaniens wildester Regisseur hat wieder ein cineastisches Brett abgeliefert – kantig, knüppelhart und bestens zum Schlagen in die Magengrube geeignet, was sich nicht mal so stark auf vielerlei Brutalitätsausbrüche bezieht, sondern den gezeichneten Mikrokosmos. Hier gibt’s keinen Halt, keine wirklich sympathische Person oder Identifikationsmöglichkeit, stattdessen grausame Schönheit, ästhetischen Ekel und nur grotesk verdrehte Zuneigung. Mit Säure, Maschinengewehren, Bügeleisen und, am schlimmsten, den Gefühlen ihres Gegenüber hantierende Monstren allerorten. Wie gewohnt mengt de la Iglesia dennoch stets Humor bei, welcher nicht schüchtern grau schimmert, sondern in formschönstem Schwarz leuchtet. Etwa, wenn Sergio zwecks Zusammenflicken zum Tierarzt (!) transportiert wird. Wer mag, kann das alles zusätzlich als Politikum deuten, obgleich dieses recht plump aufgepfropft schiene.

Schließlich eine Sequenz gegen Ende. Javier, geistig bereits schwer derangiert, lauscht leitmotivisch Raphaels Tränenzieher „Balada de la trompeta“, und de la Iglesia hat sein Publikum endgültig im Sack. Natürlich bloß, um selbigen kalt lächelnd zuzuschnüren und den hoffnungslosen, in einer überaus sadistischen Szene ultimativ schockierenden Showdown einzuläuten.

Daß er dabei seine Chance, gleich drei Leben auf die eine oder andere Art zu zerstören, ohne Wimpernzucken wahrnimmt, beweist erneut nicht gerade optimistische Weltsicht, ist aber konsequenter Höhepunkt dieser Reise in den Wahnsinn von etwas, das man Liebe nennt – oder so ähnlich.

Originaltitel: BALADA TRISTE DE TROMPETA

Spanien/F 2010, 108 min
FSK 18
Verleih: Koch Media

Genre: Thriller, Tragikomödie, Schräg

Darsteller: Carlos Areces, Antonio de la Torre, Carolina Bang, Sancho Gracia

Stab:
Regie: Álex de la Iglesia
Drehbuch: Álex de la Iglesia

Kinostart: 08.12.11

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...