Originaltitel: MAIXABEL

Spanien 2021, 116 min
FSK 12
Verleih: Piffl

Genre: Drama

Darsteller: Blanca Portillo, Luis Tosar, Urko Olazabal, María Cerezuela

Regie: Icíar Bollaín

Kinostart: 26.05.22

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Maixabel

Reue und Vergebung, Pore an Pore

Steigt einer Witwe und alleingelassenen Mutter übler Gestank in die Nase, wenn ihr der Mörder des Familienvaters gegenübersitzt? Und welcher Geruch schlägt dem Täter entgegen: der abgestandene Schweiß des Opfers, ein Dunst aus Vorwurf und unversöhnlicher Verbitterung? Wie riechen also zu Salz gestockte Tränen auf der einen, zu Scham getrocknete Tötungsbereitschaft auf der anderen Seite, durch die jeweils aus Angst vor der Konfrontation zugehaltene Nase hindurch? Icíar Bollaíns Spielfilmgegenüberstellung von Opfern und Tätern des ETA-Terrors erreicht eine geradezu olfaktorische Eindrücklichkeit, eine direkt auf die Sinne wirkende Irritationskraft.

Die fiktionalisierte Begegnung von Maixabel Lasa, Witwe des baskischen Lokalpolitikers Juan María Jaúregui, und Ibon Etxezarreta, einem der verurteilten und inhaftierten ETA-Attentäter, beruht auf wahren Begebenheiten: 2011 versuchte der spanische Staat, der Sprachlosigkeit über ideologische Begründungen und gesellschaftliche Folgen der Jahrzehnte dauernden Gewalt zwischen baskischen Separatisten und spanischen Unionisten ein Austauschformat zu geben, in dem das Gespräch – miteinander, übereinander, in Anbetracht all der „exekutierten“ politischen Gegner – wieder möglich werden sollte. Was sich und wie es sich Maixabel und Ibon an diesem Tisch im Verwaltungstrakt des Gefängnisses zu sagen haben? Ob zornig zitternd oder beschämt über die eigene Verführbarkeit? Darüber extemporiert Bollaín in einem wechselnd eingeforderten, verweigerten, befürchteten, herbeigesehnten Dialog zwischen zwei so oder so in ihrer Verzweiflungsgeschichte Gefangenen.

Die Regisseurin gehört seit Jahren zu den international hörbaren Filmstimmen, die sich mit gesellschaftspolitischer Reibungslust zu den kleinen und großen Aporien der spanischen Gegenwart äußern. Nicht immer traf sie in ihrem Arthouse-kompatiblen Erzählwillen und ihrer versatilen Ästhetik den richtigen Ton zwischen lieblicher Eingängigkeit und unangenehmem Stolperpotential. MAIXABEL aber beweist, daß Bollaín Widersprüche nicht nur zu inszenieren, sondern auch zu ertragen vermag. Haltung und Zurückhaltung, Mißtrauen und Zutrauen, Pathos und unterkühlte Alltäglichkeit: Alles bleibt hier in der Waage. Maixabels Verlust und Ibons Verbrechen behalten – trotz des als „rund“ zu begreifenden Tisches – scharfe Kanten.

[ Sylvia Görke ]