Originaltitel: MON ROI

F 2015, 126 min
FSK 12
Verleih: StudioCanal

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Emmanuelle Bercot, Vincent Cassel, Louis Garrel, Isild le Besco

Regie: Maïwenn

Kinostart: 24.03.16

17 Bewertungen

Mein Ein, mein Alles

Die Legende von Georgio und Tony

Daß sie ihm nicht widersteht, daß Tony sich in ihn derart verliebt, wie man sich gewiß im Leben kein zweites, ein drittes Mal gleich gar nicht verliebt, ist so verständlich wie blödsinnig. Dieses große Kind, dieser wilde Mann, der auf den Putz hauen, der verwöhnen, lieben und wüten kann, der Frauen auf den Händen trägt, auf der Küchenanrichte vögelt, der durchaus auch die Hand hebt, mindestens aber mit wütendem Blick keinerlei Raum für Mißdeutungen läßt. Überhaupt diese Blicke – Regisseurin Maïwenn vertraut dem Kino, den Blicken zwischen sich anziehenden und abstoßenden Menschen, allein, wie sie diese inszeniert, sorgt für Dauergänsehaut.

Doch zurück: Diesem jungenhaften und gleichsam virilen Georgio verfällt Tony, eine aufstrebende Anwältin, die nach dem Flirt in der Kneipe nur noch das sieht, was sie sehen will: einen furchtlosen, selbstbewußten, attraktiven Mann. Vielleicht der Mann, der ihr König sein könnte. Der Originaltitel läßt keine Zweifel, der sympathisch eingedeutschte eigentlich auch nicht, doch einmal wackelt wohl jede Krone. Bis dahin wird die Skepsis des Bruders überhört, erste Anzeichen von Georgios wachsender Unberechenbarkeit andiskutiert und dann doch wieder hoffend vergessen. Natürlich hätte Tony aufhorchen müssen, wenn einer, selbst im Duktus eines Restaurantbetreibers, von sich sagt, daß er es mag, wenn Menschen sich wohlfühlen.

Da schwingt bei aller Großherzigkeit ein ätzender Narzißmus, eine lupenreine Ego-Natur durch, welche Tony die eingegangene Ehe, das gemeinsame Erziehen des kleinen Sohnes und den Großteil ihres Frohsinns für lange vergällen werden. Die intensive Zeit mit diesem Kerl wird sie vermutlich nicht brechen, aber sie wird Tony verletzen. Seelisch ohnehin, aber auch körperlich. Niemals hätte es für die versierte Skifahrerin einen derartigen Sturz gegeben, der sie in die Klinik und in die Reha zwingt, von wo aus die Regisseurin in klug montierten Rückblenden nun über die Legende von Georgio und Tony erzählt. Ein schöner Kniff, der mit harten Schnitten von leidenschaftlicher Körperlichkeit auf das schmerzverzerrte Gesicht dreht, wenn das ramponierte Kniegelenk mal wieder aus der Pfanne springt.

Maïwenn erzählt nichts weniger als eine der größten Liebesgeschichten, die das zeitgenössische Kino bereithält. Es geht hier wahrlich nicht um eine Liebelei, um die moderne Verschwendung geiler Blicke und kurzer Schwüre, es geht um echte Liebe, die daran erinnert, daß der Klang des Wortes eigentlich kein ausgeleierter sein darf. Es ist hinreißend zu sehen, wie schön die beiden aneinander werden, an ihrer Liebe wachsen, es ist niemals ordinär, wenn Georgio von Tonys Muschi schwärmt, sie frech Schlampe nennt, wie er den großen Auftritt liebt und ihr oberlässig sein Handy zuwirft, den Pin dazu verrät, und beide Lollis lutschen. Es ist ein toller Witz, diese Rumalberei mit Viagra, Liebe macht schon ganz schön blöd, das ist ja das Schöne, daß Glück sich sattelfest Wähnende derart kindisch agieren läßt. Genau dadurch werden wir ja auch angreifbarer, verletzbarer.

MEIN EIN, MEIN ALLES begibt sich in dieser Ambivalenz auf Augenhöhe zu nicht allzu häufigen, unvergeßlichen Liebesfilmen wie HAPPY TOGETHER oder mehr noch 5 x 2. Beides Geschichten, die den Zuschauer mitleiden lassen und Fragen stellen: Warum kann es nicht einfach leicht werden oder bleiben? Warum ist Erwachsensein so kompliziert? Warum kommen fast immer die Lügen, die alles vergiften? Warum folgt auf das „Einen Menschen wie Dich trifft man nicht alle Tage“ das resignierte „Ich kenn’ Dich nicht mehr“?

Daß die Regisseurin Bergmans SZENEN EINER EHE mag, ist offensichtlich. Daß Marianne darin ebenfalls Anwältin ist, betont das, stärker jedoch geriet die Spiegelung des Zerfleischens, des Einanderzerstörens, des Monströsen einer zerbrechenden Liebe.

Maïwenn erzählt hautnah von größtem Schmerz, von Feigheit und Schwäche, vom Verlust an Vertrauen und Würde, von einem umwerfenden Egomanen und einer spät Erwachenden. Daß einer, der stets bewundert werden will, mit einer, die geliebt werden will, nicht zusammenpaßt, kann man schon wissen. Aber will man es?

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.