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Mit dem Herz durch die Wand

Eingerissene Barrieren und das namenlose Zuschauerglück

Clovis Cornillac, bislang kaum großartig auffällig geworden und daher im cineastischen Erinnerungsvermögen nicht mal eine Nebenrolle spielend, hat sich hier als Regisseur, Ko-Autor und Hauptdarsteller ein ganz schön voluminöses Päckchen auf die Schultern geladen. Das riecht erst mal nach Ärger und Selbstüberschätzung. Doch weit gefehlt, der vom Projekt offensichtlich vollends Begeisterte stemmt es locker. Sogar mehr noch, Cornillacs zumindest im Kino erster Ausflug hinter die Kamera fördert Talent zutage, dessen Entfaltung dringend nötig war.

Dazu bedarf es grundsätzlich bloß zweier Menschen, welchen kein Name vergönnt wird, weswegen wir sie – analog zum Film – einfach Madame und Monsieur nennen wollen. Madame ist Pianistin, ein schüchternes Pflänzchen, steht vor einem wichtigen Wettbewerb, muß daher üben und tut dies in ihrer neu gefundenen Wohnung. Was wiederum Monsieur nervt, der nebenan residiert, durch die papierdünnen Wände jede einzelne geklimperte Note hört, darob seine Profession als Erfinder gestört sieht und nun zwecks Vertreibung der unliebsamen Lautmacherin zu brachialen Mitteln greift. Madame sieht sich darob mit einem Poltergeist konfrontiert, erkennt aber natürlich schnell die wahren Hintergründe und schlägt zurück – erstaunlich, was ein Metronom für destruktive Kräfte entwickelt!

Einige kreative, sich teils gegen den Verursacher richtende Martermethoden später handelt man einen Waffenstillstand nebst Zeitplan aus, was plötzlich Phasen der Besinnlichkeit erlaubt. Durch eine, wie oben erwähnt, zugegebenermaßen nicht übermäßig dicke Barriere getrennt, kommen so die beiden Streithähne einander näher …

Letztere Entwicklung überrascht nun nicht in ungekanntem Maß, Cornillacs Vorgehen dabei allerdings schon. Zunächst gilt es, Madame eine lüsterne Schwester zur Seite zu stellen („Drei Orgasmen! Ich dachte, ich hab'n Schlaganfall!“), auf der anderen Seite unterstützt Monsieur ein patenter, aber unscheinbarer Kumpel. Während die zwei wunderbaren Sidekicks nun auf ihren Einsatz warten, gefällt es unserem Neuregisseur, Madame in einer köstlich klamaukigen Szene vom Mauerblümchen zum Vamp zu transformieren, wallende Haarpracht und druckvoll aufspringende Bluse inbegriffen. Die Weichen sind jetzt scheinbar gestellt, doch muß Monsieur gegen ein persönliches Trauma ankämpfen, wodurch die naturgemäß irreal heitere Stimmung an angenehmer Bodenhaftung gewinnt. Auch das kostet Cornillac aus, weiß aber um die besser unüberschrittenen Grenzen zum Kitsch und haut lieber der modernen Gesellschaft gleich ein paar geistige Fausthiebe in die träge wabbelnden Seiten – etwa dann, wenn er weiterhin fast spielerisch grassierenden Handywahn und daraus folgende zwischenmenschliche Sprachlosigkeit thematisiert.

Cornillac ist sich hier oder dort ebenfalls nicht zu fein für etwas dickeres Auftragen, schmelzende Chansons (Grundzutat französischer Romantikkomödien, klar), Riesenrülpser beim Flirt oder andere peinliche Fettnäpfchen. Nur bleibt er, hoher Komikfaktor und hinreißende Ideen unbenommen, immer bei seinen zwei respektive vier auf unterschiedliche Weise verkrampften Figuren, respektiert sie, schenkt ihnen gar – Ganzkörpergänsehaut! – ein Blind Doubledate. Bis am Ende einstige mangelnde Sorgfalt am Bau entscheidende Vorteile birgt, und die finale Botschaft mit leiser Vehemenz sich festkrallende Widerhaken ausfährt: Man muß loslassen, um neu beginnen zu können.

Originaltitel: UN PEU, BEAUCOUP, AVEUGLÉMENT!

F 2015, 90 min
FSK 6
Verleih: Pandastorm

Genre: Komödie, Romantik

Darsteller: Mélanie Bernier, Clovis Cornillac

Regie: Clovis Cornillac

Kinostart: 29.09.16

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...