D 2022, 97 min
FSK 12
Verleih: Majestic

Genre: Drama

Darsteller: Charly Hübner, Rainer Bock, Gabriela Maria Schmeide

Regie: Lars Jessen

Kinostart: 22.09.22

3 Bewertungen

Mittagsstunde

... und Abenddämmerung

Die Welt geht unter! Tut sie wirklich. Zumindest ist für die junge Marrett ein klares Zeichen für den Niedergang, daß es plötzlich keine Störche mehr gibt, hier in Brinkebüll, Nordfriesland. Die Zeichen mehren sich: donnernde Flugzeuge am Himmel, die Zeugen Jehovas mit ihren papiernen Wachtürmchen in der Hand und sicher auch die Übergriffigkeit junger Tölpel, die Marretts Leben in den frühen 70ern für immer verändern werden.

Davon erfahren wir aber erst später in diesem ruhig erzählten, klug geschnittenen und in seiner Lakonie zur häufigen Kinoaufgeregtheit anachronistisch geratenen Film über eine Rückkehr aufs flache Land. Denn nicht Marrett ist die Hauptfigur, auch wenn alles und der Niedergang einer alten Welt sowieso mit diesem traurigen Schicksalsbündel verknüpft scheint, es ist Ingwer, ein gestandener Endvierziger, der seine Lehrtätigkeit an der Uni Kiel ruhen läßt, um eben nach Brinkebüll zurückzukehren, da die betagten Eltern Hilfe benötigen. Vor allem Ingwers zunehmend demente Mutter braucht den Jungen, oder doch eher der Vater, den mehr das Erreichen der gnaden-platinen Hochzeit am Laufen hält, als daß er seiner abenddämmernden Frau eine echte Stütze sein könnte.

Das Kino erzählt nicht selten von Heimkehr, von Städtern, die „es geschafft haben“, um dann doch zu ihren Wurzeln zurückzukehren, meist müssen Todesfälle für solche Besinnung herhalten, meist kommt diese damit spät. Sönke Wortmanns SOMMERFEST war großartig, allerdings weniger geheimnisvoll als eben jetzt Lars Jessens MITTAGSSTUNDE. Denn der kleine Ingwer mag im Trubel des Kneipenalltags seiner Alten manch’ derbe Sprüche der trinkfesten Gäste verstanden und andere überhört haben; das, was im Verborgenen blieb und der große Ingwer nun Schritt für Schritt im Zuge seiner Rückkehr erfahren wird, haut den Kerl zwar aus der Spur, aber eben nur in aller norddeutschen Wucht: „So ein Kuddelmuddel ...“

MITTAGSSTUNDE erzählt vom Wandel, früher tranken die Männer Husumer Bier, heute kochen sie „Sous-vide“, zudem von fragilen Zweckbündnissen quer durch die Jahrzehnte. Dieses durch ruhige Hand Freiziselieren eines Begriffs und – wichtiger noch – Gefühls von Heimat berührt tief, weil es an Werte wie Zivilcourage, Zusammenhalt und auch an bleibende Fußabdrücke erinnert. Nach Filmen wie diesem und unprätentiösen Herzenstaten wie Ingwers kann die Welt ruhig untergehen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.