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Paradies: Glaube

Das ewige Kreuz mit dem haltlosen Fleisch

„Die Erde ist schön, es liebt sie der Herr“, singt die ältliche Anna Maria ihrer gediegenen Tapete mit aller Inbrunst ins Blumenmuster. Die Knie sind wund von all den Bußgängen durch die Wohnung. Den Rücken hat sie sich zerschunden bei den allabendlichen Geißelungen unter dem Kruzifix. Der Mund ist fusselig vom Einreden auf sündige Mitmenschen, denen sie ungebeten mit einer hölzernen Wandermuttergottes auf die Bude rückt. Zum Beispiel einer jungen Russin, die in ihrem Suff keinerlei Sinn für die rettende Botschaft aufbringt. Oder Herrn Rupnik, der in seinem heillos verdreckten Wohnloch vor Schreck kein angemessenes Plätzchen für die Skulptur findet.

Während Teresa, die üppige Protagonistin des ersten Teils von Ulrich Seidls PARADIES-Trilogie, eine veritable Fernreise zu den Sehnsuchtszielen ihrer vernachlässigten Libido antrat, bereitet er ihrer zusammengekniffenen, gleichsam wollüstig in die eigene Enthaltsamkeit vernarrten Schwester den Himmel auf Erden direkt vor der Nase. Doch ob nah oder fern – immer geht es darum, einen Ort zu (er)finden, an dem man sich, befreit von allen Rücksichten, entfalten kann. Und sei es bis zur vollständigen Selbstauflösung.

Seidl wäre nicht der gleichermaßen verehrte wie grundverdächtige Ideenscharfmacher und Provokateur, würde er nicht auch Anna Maria eine zermürbende Prüfung auferlegen. Die kommt im Rollstuhl daher, fährt den Treppenlift hinauf, winselt um Einlaß ins Doppelbett, schlägt die Kruzifixe, Herz-Jesu-Bilder und Papstporträts von den Wänden und kann doch, so will es das katholische Dogma, nicht einfach des Hauses verwiesen werden. Ihr Ehemann, ein Moslem ägyptischer Herkunft, ist nach langer Abwesenheit zurück und fordert seine Rechte ein. Mögen die Passionsspiele beginnen …

Einmal mehr offenbart sich das perfiden Ökonomien unterworfene All- und Ohnmachtsinstrument Körper, und zwar in seiner ganzen straßenköterhaften Fleischlichkeit, als Seidls großes Thema. Beinahe hatte man sich daran gewöhnt, es in den edelsten, diszipliniertesten Tableaus über die Chemise gegossen zu bekommen. Doch an der Großform der Trilogie scheint auch Seidls gestalterisches Vokabular noch ein Stück gewachsen zu sein, hier etwa um regelrechte Andachtsbilder mit streng durch die Mitte geführten Sichtlinien, vor deren sakraler Wirkung man wie von selbst auf die Knie fällt.

Österreich/D/F 2012, 113 min
FSK 16
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama

Darsteller: Maria Hofstätter, Nabil Saleh, Natalija Baranova, René Rupnik

Stab:
Regie: Ulrich Seidl
Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachmann

Kinostart: 21.03.13

[ Sylvia Görke ]