Originaltitel: PHILOMENA

GB/USA 2013, 98 min
FSK 6
Verleih: Universum

Genre: Tragikomödie, Schicksal

Darsteller: Judi Dench, Steve Coogan, Ruth McCabe

Regie: Stephen Frears

Kinostart: 27.02.14

30 Bewertungen

Philomena

Aufwühlende Geschichte über Mutterliebe, Menschlichkeit und Vergebung

Man sieht so gern hinein – in dieses schön gealterte, gütige und warme Gesicht Judi Denchs. Und in PHILOMENA spielt die so oder so geadelte Schauspielerin eine ihrer schönsten Rollen, eine, in der aus dem gütigen, warmen Gesicht ein unendlich trauriges, fragendes, hoffendes und bisweilen zorniges werden kann.

Was auf den Punkt zielt, denn Philomena wurde vor über 50 Jahren großes Unrecht angetan. Als Mädchen verliebt sie sich in die schönen Augen eines Jungen auf dem Rummelplatz, sie kommen sich näher, Philomena wird schwanger. Im erzkatholischen Irland eine Sünde, die Eltern schieben sie ins Roncrea ab, ein Kloster, das sich die Barmherzigkeit schon übers eiserne Tor schmiedet, von der aber nichts zu spüren ist, vom Gegenteil schon: Die unbarmherzigen Schwestern werfen dem Mädchen Schamlosigkeit vor, dafür habe sie sogar bei der Entbindung zu büßen – sie preßt ihren Jungen in Steißlage auf die Welt, lebensgefährlich und schmerzvoll ohnegleichen. Zur Reinwaschung ihrer schändlichen Seele muß Philomena täglich in der Klosterwäscherei schrubben, ihren Anthony darf sie allenfalls eine Stunde am Tag sehen. Bis er drei Jahre alt ist und zur Adoption freigegeben wird.

Es zerreißt einem das Herz, Wut kommt auf, Hilflosigkeit zugleich, man weiß sofort, wie die junge Philomena gefühlt und gelitten haben muß. An Anthonys fünfzigstem Geburtstag fällt die mittlerweile alte Dame eine Entscheidung – sie will ihren Sohn finden, sie muß wissen, was aus ihm wurde. Dann kommt der geschaßte BBC-Journalist Martin Sixsmith ins Spiel. Aus den beiden wird eines der schönsten Paare der Filmgeschichte – sie die Gutgläubige, er der Zyniker, sie die Gottesfürchtige, er der Atheist.

Zwei wie diese können an sich nur wachsen – daraus speist der Film auch seinen unwiderstehlichen Humor. Unbeschreiblich die brüllkomische Situation, als die alte Dame dem leicht distinguierten Pressesnob einen Groschenroman nacherzählt („Der Hausschuh und das Hufeisen!“). Derartigen Witz braucht eine solche Geschichte, damit Zorn und Wut auf die sich ja nun wirklich unzählige Male durch reine Unmenschlichkeit selbst geächtete Kirche die emotionale Kraft nicht ertränken.

Martin und Philomena nähern sich an, er scherzt, als sie stolz von der neuen Hüfte berichtet („Titankupfer!“), sie lachen (noch) an unterschiedlichen Stellen, sie braucht Seelenfrieden, er Arbeit für ein neues Buch. Und doch ist dieses Bündnis viel mehr als ein rein zweckerfüllendes, es ist der Beginn einer Freundschaft. Die beiden fahren ins Kloster Roncrea und treffen auf Widerstand und Widersprüche. Die Akten seien alle verbrannt, man könne nicht helfen. Während Philomena auf die Abfuhr in aller Höflichkeit und Freundlichkeit reagiert, ist Martin wutentbrannt und duldet keine faulen Kompromisse. Er bleibt dran, und die nächste Reise wird größer – Anthonys Spuren führen nach Amerika.

Judi Dench spielt in einer umwerfenden Natürlichkeit, man empfindet ihr nach, daß Philomenas größter Wunsch ist zu erfahren, ob Anthony in all den Jahren auch nur einmal an seine Mutter gedacht hat. Um so schmerzlicher ist es, je weniger von ihm zu erfahren ist, um so größer die Angst, je näher man dann doch dem Ziel kommt: „Er könnte drogenabhängig sein. Oder fett, wegen der großen Portionen ...“ Philomena kennt die Welt aus dem Fernsehen.

Da in ihr das Herz einer Mutter, einer gütigen, einer liebenden Mutter pocht, erträgt sie schließlich die Wucht der Wahrheit mit einer Grandezza, einer Wärme, wie es eben nur große Mütter können. Auch ihnen huldigt Stephen Frears’ kluger Film, und doch ist er vor allem eine Verbeugung vor dem Bewahren jeder Menschlichkeit. Denn auch wenn man vor Rage auf eine derart boshafte, gottlose und verlogene Kirche platzen könnte, wenn es einem die Tränen in die Augen treibt, als Philomena Videoaufnahmen ihres erwachsenen, verliebten Sohnes sieht oder den Geschichten lauscht, die von Anthonys festem Händedruck zeugen – Frears’ aufwühlende Geschichte verortet den Zuschauer selbst ganz neu in seinen Grundfesten, indem er Philomena sagen läßt: „Ich will die Menschen nicht hassen!“

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.