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Revision

Tod im Getreidefeld

Der Beginn ist etwas mühsam. Immer wieder Maisfelder, Windräder, Off-Töne, Fakten, deutsche Männer und rumänische Familien, die sich sichtlich unwohl fühlen vor der Kamera. Ein Kompaß fehlt, der Zuschauer muß sich bitteschön selbst „einnorden“ in diesen Dokumentarfilm. Nach 106 Minuten Laufzeit bleibt reflexartig erzeugte Wut zurück. Nicht über REVISION, sondern über das Thema, das er behandelt.

Fast 14700 illegale Einwanderer wurden, laut Nichtregierungsorganisation Fortress Europe, zwischen 1988 und 2009 an EU-Grenzen getötet. Zwei davon hießen Eudache Calderar und Grigore Velcu. Sie kamen 1992 aus Rumänien und wollten über Polen nach Deutschland, Teile ihrer Familie waren schon im Asylbewerberheim nahe Rostock. Auf einem Getreidefeld wurden die beiden Familienväter erschossen – mutmaßlich von zwei Jägern, die sie für Wildschweine hielten. Es war kurz vor vier am Morgen, diffuses Licht. Alles klar.

Warum wärmt Regisseur Philip Scheffner die Ereignisse nach fast 20 Jahren noch einmal auf? Weil es ein guter Stoff ist für ein Filmgenre, das im Kino immer nachhaltiger seinen Platz findet? Keineswegs, dazu ist Scheffner zu vorsichtig, zu bedacht auf Exaktheit. Daß REVISION dennoch zu einer sehr speziellen Art Tribunal wird, ist angemessen. Denn das, was dereinst an der deutsch-polnischen Grenze geschah, greift sehr viel weiter.

REVISION könnte auch Rekonstruktion heißen. Oder nachträgliche Ermittlung. Philip Scheffner und sein Team gehen an den Tatort zurück und befragen Mähdrescherfahrer, die die Toten fanden, herbeigerufene Feuerwehrleute, den obduzierenden Arzt, den Anwalt, der einen der Jäger vertrat, sie versuchen gar, die Lichtverhältnisse an jenem Morgen „nachzustellen.“ Vor allem aber machen sie das, was niemand, wirklich kein einziger Mensch bislang getan hat: Sie fahren nach Rumänien zu den Familien. Sie müssen ihnen die sehr schmerzliche Mitteilung machen, daß das Verfahren gegen die angeblichen Schützen eingestellt worden ist. Daß sie auch Zeugen von damals treffen, gibt dem im reinen Sinne investigativen Film eine weitere von vielen zum Teil unfaßbar grellen Spektralfarben.

Der Stil von REVISION ist betont nüchtern. Daß alle Gesprächspartner zunächst ihre eigenen Worte sozusagen Korrektur hören, bevor sie reagieren, ist eine großartige handwerkliche Idee. Allein die Wut bleibt beim Betrachter.

D 2012, 106 min
FSK 12
Verleih: Real Fiction

Genre: Dokumentation, Polit

Regie: Philip Scheffner

Kinostart: 20.09.12

[ Andreas Körner ]