Originaltitel: RODÉO

F 2023, 106 min
FSK 16
Verleih: Plaion

Genre: Drama

Darsteller: Julie Ledru, Yanis Lafki, Antonia Buresi, Cody Schroeder

Regie: Lola Quivoron

Kinostart: 13.07.23

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Rodeo

Die Furchtlose

Wenn Männer ihr ein Motorrad zeigen, dann immer mit einem gewissen, überheblichen Lächeln auf den Lippen: Was will diese junge Frau mit den wilden Locken und dem wilden Blick damit? Und Julia spielt mit, gibt ihnen ihre mit Steinen gefüllte Handtasche als Pfand für die Probefahrt und schenkt ihnen ein verschämtes Lächeln. Dann düst sie los, zückt noch, bevor sie um die Ecke rast, den Stinkefinger und plötzlich ist sie da, die Freiheit der schnellen Bewegung. Die langen Haare fliegen im Wind, und alle Probleme sind weggeblasen in diesem Moment.

Dabei ist Julias Leben irgendwie aus den Fugen. Ohne feste Wohnung, Arbeit oder Familie treibt sie – ganz auf sich allein gestellt – durch ihr Leben, und die Kamera zieht hinterher. Die französische Newcomer-Regisseurin Lola Qivoron, die in Cannes für ihr Spielfilmdebüt ausgezeichnet wurde, ist sehr nah dran an ihrer ungewöhnlichen Protagonistin, die sich scheinbar ohne Angst und mit einer wohltuenden Grundaggressivität in eine Welt vorwagt, in der Frauen eigentlich nicht existieren. Die Bikergruppe, in die Julia hineingerät, das sind junge Männer, meist mit migrantischen Wurzeln, aus der Banlieue und den Armenvierteln der französischen Großstadt. Sie verteidigen mit ihren illegalen Motorradrennen und gefährlichen Stunts ihre eigene Stärke und Unabhängigkeit. Julia stößt anfänglich auf viel maskuline Ablehnung, doch sie ist zäh, schläft in der Werkstatt und verschafft sich Respekt, indem sie immer waghalsigere und gefährlichere Diebstähle anzettelt und ohne zu murren ausführt. Obwohl sie auch Bewunderer hat, fühlt sich Julia allein bei Ophélie, der Frau des Bandenchefs, der die kriminellen Machenschaften aus dem Gefängnis heraus leitet, und ihrem kleinen Sohn in sicherer Gesellschaft.

Vier Jahre hat Qivoron in der Bikerszene recherchiert, bevor sie diese Hauptfigur schuf. Julia ist die wütende Frau, die sie dort gerne getroffen hätte, aber nie kennengelernt hat, und Julie Ledru spielt sie unfaßbar echt. Das Besondere an Qivorons Erzählweise ist: Sie psychologisiert ihre Figuren nicht. Sie beobachtet sie mit Respekt, verzichtet ganz auf Hintergründe und taucht so in ein Paralleluniversum, das jenseits der gut sanierten Straßenzüge da draußen existiert. RODEO ist feministischer Aufschrei und bestechende Gesellschaftsanalyse zugleich.

[ Claudia Euen ]