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Shnat Effes – Die Geschichte vom bösen Wolf

Eindringliches Alltagsporträt Israels

Die Vorstellungen vom Leben in Israel mögen hierzulande differenziert sein, wohl kaum aber losgelöst von der politischen Situation. Der Autorenfilmer Joseph Pitchhadze nun erzählt in seinem neuen Film, einem episodischen Drama, vordergründig alltägliche Geschichten: Ruven und Michal, beide in den Vierzigern, haben sich vor langer Zeit für ein Leben ohne Kinder entschieden. Eines Tages aber wird Michal schwanger und entscheidet, das Kind zu bekommen.

Ruven, fassungslos ob der Neuigkeit, überfährt in seiner Aufregung den Hund eines Blinden und begeht Fahrerflucht. Sein Gewissen aber läßt ihm keine Ruhe, und er sucht Kontakt zu Eddie, dem Besitzer des Tieres, zunächst ohne sich als Täter zu erkennen zu geben. Michal hat inzwischen eine Affäre mit Kagan. Er ist wie sie beim Rundfunk tätig und produziert eine Sendung über seinen verstorbenen Vater, den Begründer der israelischen Punkmusik-Szene. Eines Tages taucht Robinson auf, ein ehemaliges Mitglied der legendären Band "Dada", und stellt in kurzer Zeit das Leben des introvertierten Kagan auf den Kopf.

Und schließlich ist da Anna, eine alleinstehende Mutter, die ihren Job verliert und wegen Mietschulden mit dem 10jährigen Sohn aus ihrer Wohnung fliegt. Weil sie weder neue Arbeit, noch anderweitig Hilfe finden kann, prostituiert sie sich. Eines Tages jedoch scheint das Glück endlich zu ihr zurückzufinden ...

Pitchhadze hat seine Geschichten sehr ruhig in Szene gesetzt und schlüssig verknüpft. In einigen wenigen Fällen freilich gerät die Konstruktion zu weit, und der Regisseur beharrt auf allzu zufälligen Beziehungen von Figuren, derer es für die Handlung nicht bedurft hätte. Das Potential der Darsteller, durchweg Kino- und TV-Stars, erscheint nicht völlig ausgeschöpft. So ragen einzelne Szenen, wie die mit Eddie und Ruven, bezüglich der Schauspielerleistung heraus. In dem dramatischen Erzählstrang um Anna dagegen wirkt das Spiel von Sarah Adler eher verhalten. Obwohl im Ganzen nicht ausgewogen, SHNAT EFFES ist ein eindringliches Porträt des heutigen Israel vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise und einer zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich.

"Das Leben ist die Summe aller unvorhergesehenen Dinge", heißt es im Film, und man sieht ein Land, indem es den Menschen nicht anders ergeht als hier. Unter ihnen gibt es mehr als einen bösen Wolf und eine Vielzahl von Schafen, die letztlich Marionetten in einem politischen Theater sind.

Originaltitel: SHNAT EFFES

Israel 2004, 131 min
Verleih: mec

Genre: Episodenfilm, Drama

Darsteller: Menashe Noi, Sarah Adler, Moni Moshonov, Keren Mor

Regie: Joseph Pitchhadze

Kinostart: 11.05.06

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.