Originaltitel: SNOW CAKE

GB/Kanada 2005, 112 min
FSK 6
Verleih: Kinowelt

Genre: Drama

Darsteller: Alan Rickman, Sigourney Weaver, Carrie-Anne Moss

Regie: Marc Evans

Kinostart: 02.11.06

1 Bewertung

Snow Cake

Vom kleinen und vom großen Aufbruch

Alex redet nicht gern. Er ist Brite, aber ist das eine Begründung? Alex, gerade aus dem Knast gekommen, will eigentlich nur allein sein. Was ihn ins verschneit-provinzielle Ontario verschlagen hat, ahnt man nur. In einer Raststätte begegnet ihm Vivienne, eine überdrehte, kleine Person, die das komplette Gegenteil von Alex ist und trotzdem wenig später neben ihm im Wagen sitzt. Daß ihre Heimatstadt Wawa heißt, paßt zu gut zu Viviennes ansteckendem Frohsinn.

Manchmal genügt eine unerwartete Begegnung, um dem Leben eine neue Richtung zu geben. SNOW CAKE mutet wie eine solche Begegnung an, ein kleiner Film, der tief und nachhaltig berührt. Dies brachte ihm allerhand Vorschußlorbeeren ein - als Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale und Preisträger des Publikums-preises auf der Filmkunstmesse Leipzig. Und es scheint, als wäre auch für Regisseur Marc Evans das Drehbuch von Angela Pell eine glückliche Begegnung gewesen. Evans verdiente sich als Hausregisseur des Senders BBC seine Sporen, um später mit den Thrillern MY LITTLE EYE und TRAUMA auf sich aufmerksam zu machen. Doch erst in SNOW CAKE entfaltet sich sein perfektes Gespür für Emotionen und die kleinen zwischenmenschlichen Erdbeben. Als hätte er schon lange darauf gewartet, diese Geschichte zu erzählen und uns zuzurufen: Jede Katastrophe birgt auch die Chance für einen Aufbruch.

Und ein solcher steht Alex bevor. Um mit seiner Vergangenheit abzuschließen, tritt der adrette Brite seine Reise nach Winnipeg an. Doch das Schicksal hat andere Pläne, und schon bald steht er bei Viviennes Mutter Linda auf der Matte. Linda ist autistisch, und bevor sich Alex versieht, ist er Teil ihres minutiös geplanten Tagesablaufs und steht angesichts ihres ungewöhnlichen Verhaltens immer wieder vor mißlichen Herausforderungen. Aus dem geplanten Zwischenstop wird ein längerer Aufenthalt, was nicht unwesentlich mit Lindas attraktiver Nachbarin Maggie zu tun hat.

Alan Rickman ist die perfekte Besetzung für den verschlossenen Alex. Wie dessen innere Dämonen sich in winzigen Gesten äußern, das ist Schauspiel der höchsten Schule. Carrie-Anne Moss, die Trinity aus MATRIX, beweist in der Rolle der atemberaubenden Maggie, daß sie viel mehr kann, als in Zeitlupe Bösewichte zu Kleinholz zu verarbeiten. Aber SNOW CAKE überrascht mit einer weiteren ungewöhnlichen Begegnung: Sigourney Weaver verkörpert völlig uneitel und mit höchster Konzentration die redselige Autistin Linda - keine schillernde Rolle, das wird schnell klar. Linda verleumdet ihre Nachbarin, verscheucht übereifrige Helfer und verschreckt Alex immer wieder mit ihren Ausbrüchen. Sie ist mit sich selbst beschäftigt, und doch beeinflußt sie das Leben aller Menschen, die ihr begegnen. Un daß Alex schließlich seinen geplanten Aufbruch mit neuem Mut angeht, verdankt er zum Teil ihr. Doch der Weg dahin ist schmerzhaft. Auf jeden verschmitzten Moment folgt eine Erschütterung, und Stück für Stück kommt Alex’ Vergangenheit ans Licht.

Eine glasklare Musik weckt im Bauch das flirrende Gefühl einer Vorahnung. Oder ist es eine Befürchtung? Keine Angst! Marc Evans gelingt das Unerklärliche: aus einer tieftraurigen Fabel und ohne das Vorgaukeln leichter Auswege formt er einen Film, der hoffnungsvoller kaum sein könnte. Wie eine wunderbare Begegnung, die noch lange nachklingt.

[ Roman Klink ]