Österreich/D/F 2022, 99 min
FSK 16
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama

Darsteller: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg

Regie: Ulrich Seidl

Kinostart: 18.05.23

3 Bewertungen

Sparta

Der Ewald, die Knaben und die Anziehungskraft

Seit mehr als drei Jahrzehnten umweht Ulrich Seidl die Aura des Skandalösen. Das liegt nicht nur an den abschüssigen Milieus, denen sich der österreichische Filmradikalist widmet, an seiner Obsession für Zweitklassiges und Anrüchiges. Die leichte Übelkeit, die er seinem Publikum bereitet, entsteht vielmehr dadurch, daß es sich in Seidls grotesk-lakonischen Wirklichkeitsvergrößerungen ertappt fühlt: beim indiskreten Starren. Mit SPARTA betritt er nun eine thematische Sphäre, die er eigentlich zur persönlichen Sperrzone erklärt hatte: Pädophilie. Und wer Seidls gnadenlose Entzauberungen der menschlichen Triebstruktur kennt, bekommt Angst, wohin des Regisseurs Hang zur Drastik hier führen könnte …



Zunächst führt uns Seidl nach Rumänien, wo Ewald, der Protagonist des fiktiven Biogramms, seit Jahren lebt. Nur gelegentlich kehrt er nach Österreich zurück – um mit dem dementen Vater ein Lied aus den guten alten Tagen der Wehrmacht anzustimmen oder mit dem Bruder die Mutter zu beerdigen. Ansonsten: Alltag mit Verlobter und sexuellen Pflichten. Aber etwas zieht den unscheinbaren Mittvierziger weiter, hinaus in die verelendete rumänische Peripherie, wo resignierte Mütter und angetrunkene Väter ihren Nachwuchs sich selbst überlassen. Ewald nimmt sich der verwahrlosten vorpubertären Knaben an, baut ihnen die verfallene Dorfschule zur Festung um und veranstaltet mit den mageren Jungs – ungefragt – ein Ertüchtigungsprogramm aus Sport, Spiel und liebevoller Zuwendung.

SPARTA zeichnet ein Täterprofil ohne Tat, ohne explizite Szenen, ohne übergriffige Entblößung. Aber mag Ewald die Schwelle zum Verbrechen auch nie überschreiten – er macht sich doch schuldig, nämlich der gezielten Ausblendung. An diesem Scharnier aus Verdrängen, Schuld und Reflexen hängt Seidls Bruder-Diptychon, als das er SPARTA und dessen im vergangenen Herbst veröffentlichtes Gegenstück RIMINI verstanden wissen will, zusammen. Die Geschwisterfilme sind auf je eigene Weise klug und auf sehr Seidlsche Art berührend. Der Skandal, der SPARTA beinahe aus dem Festivalbetrieb gekegelt hätte, war von ganz anderer Natur: Anonyme Stimmen berichteten der Presse von problematischen Drehbedingungen für die Kinderdarsteller. Seidl widersprach, vehement. Daß aber seine zur Autokratie neigende Inszenierungspraxis Graubereiche erzeugt, überrascht wenig.

[ Sylvia Görke ]