D 2022, 124 min
FSK 12
Verleih: Port au Prince

Genre: Science Fiction, Mystery

Darsteller: Fine Sendel, Jule Böwe, Pasquale Aleardi

Regie: Sophie Linnenbaum

Kinostart: 30.03.23

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The Ordinaries

Mein Leben – ein Film

Paulas Vater ist nicht nur die Leerstelle ihrer Biographie, sondern eines ganzen Systems. Einst soll er bei einem Massaker ermordet worden sein. Jetzt schaut er aus der Ferne von „zwischen den Schnitten“ zu, wie Paulas Mutter betont. Oder war alles anders? Eine besondere Hauptfigur sei er gewesen, und das ist der Clou, den Sophie Linnenbaum für ihr abgefahrenes, ideensprudelndes Kinodebüt wählt: Sie zeigt die medial konstruierte Welt zugleich als klassistische Gesellschaftsordnung.

Alle ringen um den Aufstieg von der Neben- zur Hauptfigur, indem man sich am besten der Norm fügt und die sogenannten Outtakes, die Ausgestoßenen, schikaniert. Linnenbaum lädt die profane Wirklichkeit mit dem Vokabular und den Techniken des Filmischen auf. Emotionen und Score sollen über eine Herzmaschine in Einklang gebracht werden. Mundtote, Unterdrückte geistern verpixelt oder in Schwarz-Weiß umher. Als die Abgehängten rebellieren, ist man nicht bereit für eine solche „Storyline.“

Nicht jede Spielerei mag in den Meta-Metaebenen dieser Gesellschaftsdiagnose kohärent ineinandergreifen. Gerade, wenn es darum geht, den verhandelten Subjektverständnissen mit den Möglichkeiten des Schauspiels zu begegnen, irrt Linnenbaum etwas überfordert durch die dystopische Simulation und Heldinnenreise. Und doch gelingt dabei ein anregend paradoxes Verwirrspiel mit den eigenen Regeln, denn: Wer hat die Macht über den Film und den Film, den man das Leben nennt?

THE ORDINARIES zeigt erneut: Ambitioniertes, kreatives Genrekino aus Deutschland existiert! Kunst, Ideologie und Mythos kollidieren hier in einer fabelhaften Irritation, bis die Fiktion selbst ins Stocken gerät.

[ Janick Nolting ]