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Totem (2011)

Geisterstunde im Reihenhaus

Wenn einen jemand im hellsten Sonnenschein das Fürchten lehrt, wenn man dazu gebracht wird, hinter pinkfarbenen Schuhen und quittegelben Trägershirts das Herz der Finsternis zu vermuten, wenn einem schließlich ein gepflegter Vorgarten mit Kaninchenstall wie ein Dschungel voller fleischfressender Pflanzen und blutrünstiger Bestien vorkommt, dann ist es Zeit, noch einmal über den Begriff „Horror“ nachzudenken. Und Jessica Krummachers lichter, gebügelter, gebohnerter, bis in die Ecken gefegter und polierter Gruselfilm über einen seltsam vergifteten Sommer bei Bochum bietet dazu die seltene Gelegenheit.

Ordnung und Sauberkeit spielen eine stumme Hauptrolle, die Wolfgang und Claudia Bauer samt Söhnchen Jürgen und halbwüchsiger Tochter Nicole mit Freund Ulli beinahe zu Nebenfiguren degradiert. Welchen Part Fiona in dieser Familie übernehmen wird, ist noch niemandem so recht klar. Als Mädchen für alles übers Internet „bestellt“, lebt sie seit kurzem mit ihnen unter demselben Dach, wischt Abendbrottische ab, hütet zwei Babypuppen, kehrt die Terrasse, feilt der Hausfrau die Nägel und läßt sich vom Herrn des Eigenheims widerwillig zum einen oder anderen Bier überreden. Auf Fragen antwortet Fiona einsilbig oder gar nicht, manchmal auch mit einer glatten Lüge. Und sie lernt schnell, wann sie ihren Gastgebern aus dem Weg gehen sollte …

Wenig mehr als eine Handvoll Euro hat Jessica Krummacher für ihren Abschlußfilm an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film ausgegeben. Doch gespart wurde nicht nur an Drehzeit und Schauplätzen. Nein, Krummacher geizt mit Informationen, mit Milieu, Worten und Handlungen, verweigert überhaupt allen erzählerischen Luxus, der uns scheinbar so unentbehrlich ist. Selbst die Bilder unterwerfen sich dem Programm, stehen stramm in Reih und Glied, streng gebaut und für die Galerie gekämmt. Die Rätsel häufen sich, die Vagheiten, Befürchtungen und Vermutungen.

Bis einem etwas in die Nase steigt, das man von Filmasketen wie Ulrich Seidl kennt: der gleichermaßen poetische wie scharfe Stallgeruch einer gefährdeten und gefährlichen Bürgerlichkeit. Der Schrecken kommt auf leisen Sohlen? Ach was, hier kommt er in Hauslatschen, lauert hinter Sitzgarnituren, hockt unter Schneidebrettchen oder auf Gardinenstangen.

D 2011, 86 min
FSK 12
Verleih: Filmgalerie 451

Genre: Drama

Darsteller: Marina Frenk, Natja Brunckhorst, Benno Ifland, Alissa Wilms, Fritz Fenne, Cedric Koch

Stab:
Regie: Jessica Krummacher
Drehbuch: Jessica Krummacher

Kinostart: 26.04.12

[ Sylvia Görke ]