D 2019, 114 min
FSK 12
Verleih: Camino

Genre: Dokumentation

Regie: Paul Hartmann, Johannes Meier

Kinostart: 12.09.19

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Über Grenzen

Die Freiheit mieser Glückskeksfilme

Reisende soll man nicht aufhalten. Vor allem sollte man ihnen nicht mit einer Kamera hinterherrennen. Nur passiert gerade das zuletzt immer wieder, und so erleben wir hier die Geschichte der 64jährigen Margot Flügel-Anhalt, die zum ersten Mal auf dem Motorrad sitzt und sogleich vom hessischen Eschwege bis rüber nach Tadschikistan fährt, um am Ende 18 Länder durchquert zu haben. ÜBER GRENZEN vereinigt also zwei der potentiell schlimmsten Genres: Reisedoku und „Älterer Mensch macht Sachen und Dinge“-Film. Schlimm daran ist nicht, daß diese Filme fürs Reisen und Aktivbleiben plädieren. Schlimm ist, daß sie Kinoleinwände zugunsten von Glückskeksbotschaften blockieren. Das Kino jedoch ist ein Ort, der ästhetisch anspruchsvolle Bilder und laut Fellini auch eine gewisse Notwendigkeit der dort gesprochenen Worte verlangt. Und auch Raus-in-die-Welt-Filme können das Kino zu solch einem Ort machen.

Der Unterschied: FREE SOLO zeigte Aufnahmen für die Ewigkeit, ÜBER GRENZEN liebäugelt derweil mit Hochkantformat, GoPros und Überblendungen wie aus einem Hochzeitsvideo. Und während Forrest Gump „einfach Lust zu laufen“ hatte, sinniert Margot über ihre Krise nach Renteneintritt und das Gefühl vom nahenden Lebensende. Entlarvend äußert sie sich über ihren Heimatort: „Ich will schon was von der Welt sehen und gleichzeitig wissen, daß […] ich an so ’nem friedlichen Ort lebe wie hier.“ Ja, das ist schon prima, so ein doppelter Boden namens Bundesrepublik, möchte man meinen. Das dortige Briefkasten-Leeren und Termine-Wahrnehmen betitelt sie per TV-Interview dann aber als Zeichen der Unfreiheit, und das zeigt mal wieder ein typisches Freiheitsverständnis von, zumal deutschen, Reisefilm-Protagonisten.

Von allem nur das Positive mitnehmen. Viel von der Welt sehen, aber möglichst wenig mit ihr zu tun haben. Und andere Länder bloß in „gewollten Augenblicken einer genießerischen Versenkung“ (Martin Heidegger) wahrnehmen. Was daran so fatal sein soll? Nichts. Doch der Film ist nicht so ehrlich, Margot schlichtweg als „Touristin“ zu behandeln. Stattdessen setzt sich der Glaube durch, ab drei Stempeln im Reisepaß sei man zum Propheten qualifiziert. Aktuell läuft die Sendung „Mit 80 Jahren um die Welt“, die sich ihr simples Unterhaltungs-Dasein immerhin eingesteht und im Fernsehen auch besser aufgehoben ist.

[ Hieronymus Hölzig ]