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Unter Schnee

Grazil wie eine Gänsefederschneeflocke

Ulrike Ottinger hat einmal gesagt, daß Wasser und Essen von „elementarer Natur für die Menschen“ sind. Wo solle man aber anfangen, diese „in sämtlichen Bereichen unseres physischen und geistigen Lebens mäandernden Dinge zu begreifen?“ Ottinger macht es wie immer in ihrem künstlerischen Schaffen. Sie versucht, „gleichsam mitzufließen“, wenn sie die Schneewelt in dem japanischen Dorf Echigo filmt.

Sie, die Regisseurin, Drehbuchautorin und Kamerafrau, ist fasziniert vom Verschmelzen mythischer Orte, ihren Geschichten und der Schönheit der Natur. Weniger die einzelnen Menschen vor der Kamera als ihre Funktionen in der Welt scheinen Ottinger zu interessieren, wenn sie die Reisbauern beim Ausführen ihrer Rituale beobachtet, wenn sie zeigt, wie Krepp gewebt wird, Opfergaben beigebracht werden, und immer wieder der Schnee bezwungen werden muß. Denn Echigo ist bis weit in den Mai hinein von einer hohen Schneedecke überzogen. Das verlangsamt den Tagesablauf und sorgt für bestechende Kontraste zwischen dem strahlenden Weiß und den Farben der traditionellen Trachten.

Die Erzählerstimme von Eva Mattes leitet den Zuschauer, wandert mit den Studenten Takeo und Mako, die sich aufmachen, um den 108 Glockenschlägen zu lauschen, die zu Neujahr die 108 Verfehlungen des letzten Jahres symbolisieren. In der Herberge, in die sie der dichter werdende Schnee zwingt einzukehren, bewirtet sie die alte Hausherrin mit Sake. Sie bedeutet ihnen, sich auszuruhen, jedoch unter keinen Umständen das benachbarte Zimmer zu betreten. Das Verbot wird gebrochen, und die Studenten werden am nächsten Morgen, dem ersten Tag des Hasen-Jahres, als Kabuki-Darsteller durch die Geschichte des Filmes führen.

Ottinger verknüpft diese inszenierten Szenen im Stil des klassischen japanischen Tanzdramas mit Beobachtungen im Heute, verbindet die Epoche der Edo-Zeit mit dem Jetzt. Auffällig ist, daß sie dabei nur prägnante Aussagen durch die Erzählstimme aufgreift. Deshalb verbleibt man in der Rolle des meditierenden Betrachters, der kunstvolle Essenzubereitungen, Kaligraphiekunst, japanische Tradition und wunderschöne Bildkompositionen in sich aufnimmt, ohne durch die Banalität des Alltags gestört zu werden. Dabei wäre es schön gewesen zu erfahren, was zwischen all den Verbeugungen gesprochen wird, was die Kinder erzählen beim Tollen im Schnee. Doch Ulrike Ottinger zeigt uns den Mythos und den so grazil ins Bild gesetzt wie eine Gänsefederschneeflocke, begleitet durch die wunderbare Musik von Yuniko Tanaka.

D 2011, 103 min
FSK 0
Verleih: Real Fiction

Genre: Dokumentation, Poesie, Drama

Stab:
Regie: Ulrike Ottinger
Stimmen: Eva Mattes

Kinostart: 15.09.11

[ Susanne Schulz ]