D 2009, 110 min
FSK 12
Verleih: Concorde

Genre: Historie, Biographie, Drama

Darsteller: Barbara Sukowa, Heino Ferch, Hannah Herzsprung, Alexander Held, Lena Stolze

Regie: Margarethe von Trotta

Kinostart: 24.09.09

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Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen

Beeindruckendes Porträt einer unbequemen Frau

Die Menschen weinen, sie kasteien sich die Rücken blutig, sie flüstern eilfertig all ihre Sünden heraus – die Welt wird untergehen zum Millenium. Dann gleißendes Tageslicht, müde Gesichter, ein Kind ist zu sehen. Sinnbild der Hoffnung, darauf, daß es doch weitergeht. Für den Fortschritt steht ein knapp dreißig Jahre später geborenes Kind, das auf den Namen Hildegard hört. Von der Mutter mit acht Jahren ins Kloster geschickt, um in tiefer Demut und Unschuld erzogen zu werden. Um Hildegard kümmert sich liebevoll Jutta von Sponheim. Das Kind sieht eines Tages, wie sich die Mentorin schwer kasteit, später an deren Totenbett entdeckt Hildegard eitrige Wunden – verursacht durch den ins Fleisch schneidenden Keuschheitsgürtel.

Eine Erfahrung, die sich ins Gedächtnis der Nonne einprägt, die sie formen wird. Nach anfänglicher Widerrede akzeptiert Hildegard, daß sie zur neuen Magistra gewählt wird. In dieser Position erwirbt die eigensinnige Frau Wissen, sie verschlingt Bücher über Medizin und heilende Edelsteine, sie liest Aristoteles. Was Hildegard bisher verschwiegen hat, sind die Visionen, die sie heimsuchen, das Licht, die Gesichten, die sie irritieren. Ihre Fähigkeit als Seherin spricht sich bis in höchste kirchliche Kreise rum. Von Bingens Interesse an Naturheilung, ihre Ansichten, daß Gott keine Opfer, sondern Barmherzigkeit will, und daß Gebete allein nicht gesunden lassen, machen sie berühmt – und angreifbar.

Margarethe von Trotta zeichnet ein beeindruckendes Porträt einer faszinierenden, einer unbequemen Frau, und sie ist nach einigen schwächeren Filmen irgendwie wieder bei sich. Mag es an der mehrfach erfolgreich erprobten Konstellation Sukowa/von Trotta liegen, oder an der konzentrierten, durchaus spannenden und mit Kinobildern arbeitenden Inszenierung, die sich in den Dienst einer undogmatischen Geschichte stellt. Und am Mut, Mißstände in der Kirche aufzuzeigen. Da übt von Trotta ganz aktuell und offen Kritik. Es wird ein junges Mädchen im Kloster geschwängert, von Bingen sieht als einzige Chance, sie aus dem Dienst zu entlassen. Diese Entscheidung wird auch zu ihrer persönlichen Schuld. Von Bingen ist in dieser Geschichte eine ambitionierte, fast unberückbare Frau, die für das Progressive steht, die dennoch nicht zur Lichtgestalt wird. Auch sie hat Schwächen. Als sie versucht, ihre innig geliebte Anvertraute, die junge Richardis, im Kloster und vom Amt als angehende Äbtissin ab zu halten, offenbaren sich diese. Oder als sie sterbenskrank eher nach Wermut als Schafsgarbe verlangt – da beweist von Trotta sogar Humor, in einer Geschichte, die vom Aufbegehren in einer schwarzen Zeit erzählt. Von Bingen mischt sich ehrgeizig unter die Mächtigen, eine signifikante Begegnung mit Barbarossa unterstreicht dies, und sie setzt sich über Denkensschranken hinweg – etwa wenn sie lachend bestätigt, daß die Araber zwar Heiden, aber in der Medizin den Christen weit voraus sind.

Eine derart stolze, eloquente und eigensinnige Frau kann nur die hochgewachsene Barbara Sukowa spielen, der in ihrer klugen Schönheit beides abzunehmen ist: die strenge Liebe zu Gott und die Freude an offenem Haar, Perlenschmuck und zu entsprechenden Anlässen schönen Kleidern. Sie sorgt dafür, daß VISION eben kein Film allein für Kräuterweibli und Rucksack-Mütter ist. Sie ist die kämpferische Frau, die in eine Männerdomäne prescht und früh erkennt, daß sich die aus der Bahn gezwungenen Elemente bald gegen die Menschen wenden werden.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.