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Von Menschen und Göttern

Kritik der Vernunft des Herzens

Ora et labora. Gebet und Arbeit bestimmen den Alltag im Trappistenkloster Notre-Dame de l’Atlas in Tibhirine im algerischen Atlasgebirge. Seit den 30er Jahren Refugium für französische Ordensbrüder, hatten Mönche und Einheimische Zeit, um sich zu arrangieren. Ein Paradies der abrahamitischen Ökumene – Götter, Menschen im friedlichen Beieinander. Frère Luc versorgt die Wunden der Besucher aus den umliegenden Siedlungen, ohne nach ihrem Glauben zu fragen. Abt Christian wohnt freudig der Beschneidung eines Jungen bei, zu der man von den muslimischen Nachbarn selbstverständlich eingeladen wurde. Doch die islamistischen Rebellen, die bereits tiefer im Land ihre blutigen Spuren hinterlassen haben, rücken näher ...

Wem das Massaker an den Trappisten im Jahre 1996 aus der Weltpresse geläufig ist, kann am tödlichen Ausgang der Geschichte keine Zweifel haben. Beauvois’ Spielfilm, der auf diesen Ereignissen basiert, macht sich jedoch nicht zum bloßen Chronisten eines angekündigten Mordes. Sein Thema ist der quälende Entscheidungsprozeß, dem sich die Mönche unterziehen müssen: das Land verlassen, wie ihnen die Behörden nahelegen? Oder bleiben und Instrument in den Händen der politischen Kontrahenten werden?

Das Drama eines bitter enttäuschten Gottvertrauens erfuhr in Cannes höchste Ehren. Die Paßgenauigkeit auf virulente Fragen nach Toleranz und zornigen Göttern mag ein Grund gewesen sein. Ein Ensemble, das keine Gelegenheit zum großen Ausbruch bekommt und doch überzeugt, ein weiterer. Aber in das Kritikerlob mischte sich ein leiser Vorwurf, nämlich jener der Jurygefälligkeit. Er kann entkräftet werden, leicht. Denn Beauvois findet eine Form, die Wagnisse eingeht: elysische Landschaftsblicke, kontemplative Kameraversenkungen in einen von liturgischen Gesängen strukturierten Tagesablauf, Andachtsprozessionen, die von der Raummitte geradewegs ins Gesicht des Zuschauers führen, ein bedächtiger Rhythmus, der sich gegen das Chaos draußen zu behaupten sucht, wuchtige biblische Motivzitate im Widerstreit mit der Bescheidenheit des Ortes.

Die Bilder also haben Schmelz. Ihre Noblesse aber liegt darin, jenseits der Identifikation mit dem Mut der Verzweifelten auch den Mut am Zweifeln zu schüren – an einem Märtyrertum aus hehren wie banalen Gründen, aus Güte wie Starrsinn, aus Pflichtbewußtsein wie Selbstgerechtigkeit. Vielleicht.

Originaltitel: DES HOMMES ET DES DIEUX

F 2010, 120 min
FSK 12
Verleih: NFP

Genre: Drama

Darsteller: Lambert Wilson, Michael Lonsdale, Olivier Rabourdin, Jacques Herlin, Farid Larbi

Regie: Xavier Beauvois

Kinostart: 16.12.10

[ Sylvia Görke ]