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Welcome To Pine Hill

Zwischen Leben und Fiktion

Wer mit diesem Film eine typische Sozialstudie mit Wackelkamera und Bildern aus den Seitenarmen unserer Gesellschaft erwartet, der wird enttäuscht werden. Dabei sieht der Protagonist Shannon genauso aus, wie man sich einen jungen Mann aus der Peripherie New Yorks vorstellt. Stämmig, mit Rastazöpfen, der Hosenschritt hängt in den Kniekehlen. Als er das erste Mal in hellblauem Hemd verständnisvoll Versicherungsschäden bearbeitet, weiß man, hier ist irgendwas anders.

Am Anfang von WELCOME TO PINE HILL ist nicht ganz klar, ob es ein Dokumentar- oder ein Spielfilm ist. Auf Kunstlicht wird gänzlich verzichtet, und auch der Hauptdarsteller scheint keine Rolle zu spielen, sondern ausschließlich sich selbst. Und in der Tat traf Filmemacher Keith Miller seinen Protagonisten Shannon Harper eines Nachts zufällig in Brooklyn auf der Straße, als dieser ihm weismachen wollte, daß der Hund, mit dem er gerade Gassi ging, nicht sein Hund sei. Am nächsten Tag überredete ihn Miller, ihre Begegnung in einem Kurzfilm zu verpacken. Für WELCOME TO PINE HILL hat Regisseur Miller den Plot um reale und ausgedachte Szenen erweitert und erzählt nun die Geschichte des ehemaligen Drogendealers Shannon, der ein neues Leben beginnen will.

Das tut er mit stoischem Minimalismus: Shannon beim Essen von Mikrowellennahrung, beim Fernsehen, im Büro. Seine Vergangenheit hat er an den Nagel gehängt, gelegentlich trifft er alte Kumpels auf der Straße. Als Shannon aber erfährt, daß er unheilbar krank ist, hört man plötzlich auf, Voyeur einer verkrachten Biographie zu sein, sondern wird zum Zeugen eines persönlichen Schicksals. Das ist das Besondere an dem Film: Das soziale Setting rückt auf einmal in den Hintergrund. Shannon ist nicht mehr der Kriminelle mit guten Absichten, sondern ein Mensch, der sich fragt, was in seinem Leben eigentlich Wert hatte und welche Rechnungen noch zu begleichen sind.

WELCOME TO PINE HILL, über Crowdfunding finanziert und mehrfach ausgezeichnet, ist schon auch harter Stoff. Der Regisseur kratzt gehörig an der Grenze zwischen Realität und Fiktion und an der Schutzschicht, mit der sich das Leben ertragen läßt.

Originaltitel: WELCOME TO PINE HILL

USA 2012, 81 min
Verleih: Temperclay

Genre: Drama, Dokumentation

Darsteller: Shannon Harper, Jaiden Kaine

Regie: Keith Miller

Kinostart: 29.08.13

[ Claudia Euen ]