CH 2020, 101 min
FSK 6
Verleih: Arsenal

Genre: Dokumentation

Regie: Daniel Howald

Kinostart: 11.11.21

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Who’s Afraid Of Alice Miller?

Das Drama der Begabung

Sie ist die Hüterin der Kinder: die Psychologin Alice Miller. 1979 erschien ihr Bestseller „Das Drama des begabten Kindes“, in dem sie für eine gewaltfreie Kindererziehung plädierte. Denn die sogenannte schwarze Pädagogik, die die Macht der Erwachsenen über das Kind in Handlung übersetzt, schade der Gesellschaft, produziere Mörder und Despoten, die als Kind Opfer waren und deshalb später zu Tätern werden.

Nun könnte man meinen, der Dokumentarfilm WHOÆS AFRAID OF ALICE MILLER? ist die Hymne auf eine hochintellektuelle Frau, doch das Gegenteil ist der Fall. Schon kurz nach ihrem Tod 2010 erhob ihr Sohn schwere Vorwürfe gegen sie: Er selbst sei während seiner Kindheit vom Vater geschlagen und von der Mutter vernachlässigt worden. Im Film geht er nun auf die Suche, wie seine Familie in so eine Schieflage geraten konnte. Miller, ein großer, freundlicher Bär, macht sich auf die Reise nach Polen, dem Heimatland seiner Mutter. Dort lebte sie während des Krieges mit falscher Identität als verfolgte Jüdin mitten in der Höhle des Löwen. „Sie hat das Lügen im Ghetto gelernt“, sagt Irenka, die Cousine der Mutter, die Miller auf seiner Reise begleitet. Auf den Spuren der Judenverfolgung wühlen sie in Archiven, reden mit Historikern.

Daniel Howald inszeniert leise, fast unmerklich schreibt sich das Entsetzen über das Grauen der Nazizeit ins Gesicht seiner Protagonisten. Zur Aussöhnung kommt es am Ende nicht, die Wut im verlorenen Sohn über die Ungerechtigkeit seines Schicksals ebbt nicht ab. Die Mutter bleibt rätselhaft, unterkühlt. Der Film verdeutlicht, wie ein Trauma die Seele formatieren kann – über Generationen hinweg.

[ Claudia Euen ]