Originaltitel: YVES SAINT LAURENT

F 2013, 101 min
FSK 12
Verleih: Universum

Genre: Biographie, Schwul-Lesbisch, Liebe

Darsteller: Pierre Niney, Guillaume Gallienne, Charlotte Le Bon, Laura Smet, Nikolai Kinski

Regie: Jalil Lespert

Kinostart: 17.04.14

18 Bewertungen

Yves Saint Laurent

Lebenswucht und Liebesgeschichte

Die Richtung war früh klar, als Klein-Yves das Kleid der Tante ablehnte. Es gefiel ihm einfach nicht. Er strampelte nicht mit den Beinchen, er bat die Verwandte höflich um einen Garderobenwechsel. Jung schon dieses konkrete Stilempfinden, eine Begabung, die aus dem bebrillten Adoleszenten einen Weltstar werden lassen sollte. Doch, arrête! Selbst wenn in biographischen Filmen häufig sturzartig über Dekaden hinweg und mitunter all zu huldigend erzählt wird – Jalil Lespert war wenig daran gelegen, einer Ausnahmekarriere im Blitztempo und in staunender Elegie den Hof zu fegen, er interessiert sich profund für den Charakter Saint Laurents, deswegen geriet sein Einstieg auch kantiger, als man es von nur halbwegs vergleichbaren Filmen wie COCO CHANEL sagen kann. Was richtig ist, denn die vielzitierte Zerrissenheit Yves Saint Laurents zieht sich durch dessen komplette Biographie: der Aufbruch aus Algerien angesichts drohender Kriegsgefahr, die frühe Verantwortung für das Modehaus Dior, die Anfeindungen der Öffentlichkeit, als er den Wehrdienst verweigert, der Neuanfang mit seinem eigenen Unternehmen.

Yves Saint Laurent war von einer ausgeprägten Schüchternheit, der beinahe autistische Tunnelblick für seine Mode muß ihn überhaupt erst durch alle Meere voller Zweifel und Ängste gebracht haben. Fast archetypisch, genauso, wie es der Volksmund von Genies erwartet: Ästhet, Wüterich und Melancholiker. Doch Genies und Wahnsinnige gehen vor die Hunde, wenn es keinen gibt, der die Lok auf der Schiene hält. Und da kommt Pierre Bergé ins Spiel, mit dem Saint Laurent sein Geschäft aufbaute, der Verbindungen schuf, mit dem er elendig stritt, und den er innig liebte. Und deswegen hat Lespert das Schönste gemacht, was man im Kino aus einer derartigen Lebenswucht machen kann – eine Liebesgeschichte. Eine kratzige, eine wilde, eine mit Beulen und Blessuren, une vraie histoire de coeur. Dieses Fauchen und Kratzen, dieses Belauern und Beeifersüchteln ­ – Bergé und Saint Laurent schenken sich nix.

Schön gestaltet sich, wie sich die beiden annähern, ein Spaziergang, der erste Kuß und später dieses Gänsehaut erzeugende Zwinkern Bergés, wenn ein Defilée seines Geliebten und Protegés erfolgreich war, wenn den ewigen Ängsten gemeinsam ein Schnippchen geschlagen wurde. Es mag was dran sein an der These, daß schüchterne Menschen die Welt regieren, und ohne das jetzt per Freudschem Lackmustest zu untermauern – es sind zudem die zwischenmenschlichen Defizite, die aus Menschen Genies machen. Saint Laurents ging es nicht anders, als wenig später Romy Schneider: Im Beruf konnte er wahrlich alles, im Leben – na ja.

Deshalb ist dies die tief berührende Geschichte eines furchtsamen Menschen, die nahe geht, wenn die beiden Liebenden sich weh tun, aussperren, mit degenerierten Freunden umgeben, wenn sie Verrat üben, wenn Musen purzeln, und man Saint Laurent beim per se zum Scheitern verdammten Versuch beobachtet, seine verlorene Jugend nachzuholen. Verpackt ist all dies in formidable Bilder: von vorerst sinnlich-spartanisch arrangierten hin zu opulenteren Defilées, einem nostalgischen Paris und der Schaffens- und Rauschphase in Marokko. Modeliebhaber werden ohnehin entzückt sein, wenn Wegbereitendes aus dem Oeuvre Saint Laurents in Szene gesetzt wird.

YVES SAINT LAURENT ist ein emotionales, brillant besetztes, fiebriges und gerade wegen ausbleibender Um-den-Bartschmierereien würdiges Porträt eines Menschen, der wohl nur zweimal im Jahr richtig Glück empfinden konnte: im Frühjahr und im Herbst.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.