Bild: MARS AT SUNRISE
... in der Cinémathèque impliziert einen Rat: Zwar wollen wir unsere Leser nicht zum Alkoholismus erziehen, dennoch sei mit Blick auf die vorab gesehenen Filme angeraten, das heimische Weinregal ordentlich zu bestücken – für dem Kinobesuch folgende Gespräche. Kommen wir zur Begründung, beginnend mit MARS AT SUNRISE. Dieses Drama beleuchtet das Duell zwischen einem inhaftierten Palästinenser und seinem israelischen Bewacher. Da fordern den Zuschauer Verhöre, Folter, Traumata, gebettet in zunehmend halluzinatorische Bilder zwischen Realität und Fiktion, welche der Entschlüsselung harren.
Optisch fast karg hingegen geriet STABLE UNSTABLE – hier suchen an Silvester sieben grundverschiedene Patienten eine psychiatrische Praxis auf, um dort vor dem Arzt ihr ganz persönliches Schauspiel abzuliefern. Erst unbeobachtet im Lift fallen die Masken, das Publikum erlebt es versteckt beobachtend, und irgendwann steht außerdem fest: Auch der Doktor hat Probleme. Ungeachtet aller skurrilen Komik laden tiefer greifende Subtexte zum Entdecken ein.
Weiter geht’s mit THE LEBANESE ROCKET SOCIETY: Zwei Filmemacher stoßen zufällig auf ein bestgehütetes Geheimnis, nicht mal Google scheint zu wissen, daß vor etwa 50 Jahren Studenten und Lehrende einer libanesischen Universität am eigenen Raumfahrtprogramm arbeiteten. Die Spurensuche gräbt Bilder aus, sogar bewegtes Archivmaterial und Wegbegleiter werden gefunden. Durchaus spannend montiert und viele Fragen aufwerfend, läßt das dokumentarische Ergebnis offen, ob die Regisseure ihr Sujet im letzten Drittel klug verhandeln. Was da nämlich geschehen soll, könnte den Zauber individuell betrachtet entweder vertiefen oder etwas selbstherrlich entweihen.
Der Fokus von THE REPENTANT ruht dann auf drei Personen, konkret einem offensichtlich seelisch zerstörten Mann, dessen ehemaliger Gattin sowie einem Ex-Untergrundkämpfer. Sie gehen zusammen auf eine Reise, angefüllt mit Spannungen, Schuld und der tragischen Vergangenheit. Da kann es einfach keine Erlösung geben, hoher Redebedarf entsteht neben dem grundsätzlichen Thema hauptsächlich durch das langfristig verstörende Ende.
Schließlich treffen sich in THE UGLY ONE Lili und Michel. Jene Zusammenkunft, der mittels Off-Kommentar ein japanischer Erzähler immer wieder seine eigene Sicht auf Beirut quasi ankleidet, bleibt stets fragmentarisch, experimentell, wirkt teils gar meditativ. Gängiges Erfassen verbietet sich, eher möchten die grenzüberschreitenden Bruchstücke einzeln erspürt und den richtigen Regionen des Gefühls- und Denkapparates zugeordnet sein. Der einzig korrekte Umgang angesichts provozierender Aussagen à la: „Killing Allows You To Adopt A Soul.“
Ob für die weiteren Werke ebenfalls eine volle Hausbar Unterstützung spendet, beurteile jeder selbst: JEAN WEJNOON – GENIES AND MADNESS bittet zum Trip ins Leben eines Regisseurs, die Dokus CURSED BE THE PHOSPHATE sowie TINGHIR – JERUSALEM widmen sich Identität, Repressionen und Korruption, während DIE FREIEN MENSCHEN im Widerstand ihr Ziel sehen. Romantisch-komische Erholung verspricht hingegen WHEN MONALIZA SMILED. Kurzfilme sowie Podiumsdiskussionen gibt’s als Digestif ebenso dazu wie ein buntes Rahmenprogramm aus Workshops, Vorträgen und Ausstellungen. Wohl bekomm’s!
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...