KOYAANISQATSI / DRACULA (1931)

Philip Glass

1983 brachte KOYAANISQATSI die Kinogänger an die Grenzen des Ertragbaren; Zeitraffer-Bilder und quälende Musik überspitzten, was in anderen Filmen bisher nur angedeutet wurde. Philip Glass’ neuartige Musik wurde damals nur in gestutzter Form veröffentlicht. Mit der vorliegenden Neueinspielung erreicht endlich der nahezu komplette Score den Plattenmarkt. Glass’ erste filmmusikalische Arbeit überträgt die Sinnlosigkeit der Bildinhalte in schockierend konsequente und wirkunsvolle Tongeflechte, deren Länge dem Rezipienten einiges an Ausdauer abverlangt. Wie der Film endet auch die Komposition dort wo sie beginnt. Den Kreis öffnet und schließt die tief-dunkel schwellende Passacaglia für Orgel und Männerstimme. Der Klang des Wortes Ko-Yaa-Nis-Qatsi verbreitet eine fast beschwörende Ruhe, bevor die Komposition formal wie auch akustisch wächst. Höhepunkt ist der Marathontitel THE GRID, der mit seinen 20 Minuten konstant-minimaler Steigerung als Vorzeigestück der Minimal Music bezeichnet werden kann. Glass’ Kompositionsstil wird hier überdeutlich, seine Vorliebe für in Arpeggio aufgelöste Akkorde nahezu unerträglich. Die Musik bedrängt den Hörer, verbreitet Unruhe und Beklemmung.

Der Neueinspielung von KOYAANISQATSI folgte die Neuvertonung von DRACULA, dem 1931er Klassiker mit Bela Lugosi in der Hauptrolle. Mit diesen beiden derzeitigen Grenzpfosten des Glassschen Filmmusik-Oeuvre stehen sich zwei Extreme gegenüber, getrennt durch 15 Jahre der Weiterentwicklung. Zweifellos bleibt Glass sich treu, typische Stilelemente des Komponisten findet man auch reichlich in DRACULA. Doch die betäubend-perpetuierende Rhythmik des Erstlingswerkes ist verschwunden. Vielmehr bricht Glass diesen anfänglich gleichbleibenden Charakter in Abstraktionen auf. Dem Leinwandgeschehen folgt er illustrativer, indem er das reiche thematische Material öfter wechselt als gewöhnlich. So entstehen selbst innerhalb der einzelnen Stücke Fragmente. Instrumentiert ist DRACULA lediglich für Streichquartet. Für diese erste Aufnahme wurde das schon Glass-erprobte Kronos Quartet verpflichtet. Ihr Spiel ist höchst dynamisch, klar und üppig in Nuancen.

Beide CDs sind jedem (Film)-Musikfreund wärmstens empfohlen.

[ Philipp J. Neumann ] Philipp fühlt sich inspiriert von CLUB DER TOTEN DICHTER, hat gelernt aus DAS SIEBENTE SIEGEL, ist gerührt von MAGNOLIA, hat sich wiedergefunden in THE SWEET HEREAFTER, wurde beinahe irr durch FARGO, ist für immer vernarrt in PONETTE und war schlicht plattgedrückt von DER HERR DER RINGE.

Label: Nonesuch