Label: Filmgalerie 451

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Regie: Pier Paolo Pasolini

Pier Paolo Pasolini

Der Hessische Rundfunk titulierte mal "Regisseur, Literat, Künstler" - geradeso, als ob sich das ausschließe. Pasolini war noch viel mehr: katholischer Marxist, Bürgerschreck, Erzintellektueller, schwuler Kommunist, der aus der Partei flog, Prosaist, Lyriker, ein Kritiker der Macht und der Degeneration einer unmündigen, assimilierten Gesellschaft und auch Kenner der Unterwelt, des Milieus der Huren und Stricher. Daß ihn ausgerechnet ein Junge von der Straße erschlug und verstümmelte, könnte fies feixende Ironie des Schicksals sein, wenn nicht immer wieder Vermutungen über politische Mordmotive aufkämen. Gerade nach Pasolinis letztem Film DIE 120 TAGE VON SODOM riefen Neofaschisten zum Mord an Italiens Musterprovokateur auf.

Was bleibt sind seine Stücke, Bücher, Schriften und natürlich seine Filme. Zwei erschienen nun auf DVD, beide stehen exemplarisch für den teils sperrigen cineastischen Kosmos Pasolinis. Sein Debüt ACCATTONE - WER NIE SEIN BROT MIT TRÄNEN ASS von 1961 versteht sich als Weiterentwicklung des neorealistischen Kinos von Vertretern wie de Sica. Erzählt wird vom Nichtsnutz und Zuhälter Accatone, der Freunde schon mal für einen Topf Spaghetti verrät, sich einrichtet in einer Welt, in der Männer faul in der Sonne sitzen und daheim ihre Frauen schlagen. Pasolini zeichnet ein bitteres Bild von der Mißgunst unter Nutten und der Verdarbtheit eines verkommenen Subproletariats und trat mit seinem nüchternen Stil dem hysterisch-keifenden italienischen Kino der 50er und 60er Jahre à la HOCHZEIT/SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH entgegen. Schade, daß dieses Meisterwerk mit einem grausigen, fast unverständlichen deutschen Ton erscheint.

Pasolini drehte sechs Jahre später mit dem charismatischen Accattone-Darsteller Franco Citti das parabelhafte EDIPO RE, in dem die Sophokles-Tragödie in eine afrikanische Landschaft verlagert und mit einem (unnötigen) Schwenk in die Zeit des Faschismus versehen wird. In einem interessanten Farbkonzept und mit fiebriger Kamera holt Pasolini recht akribisch aus - vom Findelkind über den Vatermord, vom Sieg über die Sphinx in Theben, dem Inzest mit der Mutter hin zum grausigen Finale durch Ödipus’ brachiale Erblindung. Wenn Pasolini einst sagte, daß dies sein autobiographischster Film sei, dann versteht man, woher all jener wütende Fleiß, diese intellektuelle Zerrissenheit und der künstlerische Ehrgeiz kamen. Bertolucci, ein Schüler Pasolinis, der ihm bei ACCATTONE assistierte, sagte zum Tod des Meisters trefflich: "Dies war ein Mord gegen die Kultur, gegen die Intelligenz, gegen die Poesie."

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.