Originaltitel: L’ÉCUME DES JOURS

F 2013, 125 min
FSK 12
Verleih: StudioCanal

Genre: Literaturverfilmung, Schräg, Tragikomödie

Darsteller: Audrey Tautou, Romain Duris, Gad Elmaleh, Omar Sy

Regie: Michel Gondry

Kinostart: 03.10.13

2 Bewertungen

Der Schaum der Tage

Wie Vian: Realismus ist öde

Nun wird es höchste Zeit, daß Audrey Tautou eine Massenmörderin spielt! Eine, die mit kugelbraunen Augen Männer in ihre Folterwerkstatt führt, dort ins Koma bugsiert und, sagen wir mal, genüßlich verspeist. Mit zartem Entsetzen und staunend würde man sich von ihr abwenden. Doch bis es so weit ist oder nie so weit kommen wird, spielt die Tautou in DER SCHAUM DER TAGE das, was sie kann. Und wenn wir im hintersten Winkel unseres cineastischen Wohlgefühls nachforschen, wissen wir, daß der große Boris Vian genau sie im Sinn hatte, als er seinen wild sprudelnden Liebesroman Mitte der 40er Jahre geschrieben hat. Beim Lesen dieser furios-absurden, doppelsinnig blumigen, so entrückt von den Ankern der Realität taumelnden Geschichte, die sich in all den Jahrzehnten zeitlos frisch gegeben hat, war es nicht anders. Audrey muß Cloé sein! Oder eine von ihnen.

Apropos Lesen – sie werden wieder da sein, die Bedenken und ihre Träger, von wegen: unverfilmbar. Oder die stattliche Zahl Verehrer des Regisseurs Michel Gondry, der dem zeitgenössischen Kino schon so viele herrlich abgedrehte Stunden wuchernder Phantasie geschenkt hat, daß man wohl nur ihm und vielleicht Jean-Pierre Jeunet oder Terry Gilliam eine Vian-Adaption zugetraut hat. Das Verblüffende für jene, die DER SCHAUM DER TAGE demnächst erstmals lesen werden, ist die Tatsache, daß schon vom Autor selbst der Strom surrealer und skurriler Ideen stammt, die Gondry visuell interpretiert und umgesetzt hat. Diese verdoppelten Ideen kollidieren im Kopf dann auf wundervolle Weise mit den eigenen Bildern.

Krawatten und Stühle entwickeln wirres Tun, Aale werden mit Ananas-Zahnpasta aus dem Wasserrohr gelockt, Cocktails mischen sich selbst am Klavier, der Bischof heißt Trischof, Sartre heißt Partre, Mäuse sind Untermieter, Männer haben Taubenköpfe, unheilbare Krankheiten lassen Seerosen in Lungenflügeln blühen – bei Gondry nimmt Vian einen tiefen Zug aus 40ern, 70ern und der Zukunft. Genießer Colin lebt mit Nicholas, seinem Koch, Berater und Vertrauten, in einer Welt des zauberhaften Müßiggangs. Er hat in Chick einen ziemlich besten Freund, aber eben keine Frau. Als er auf einer Party Chloé sieht, die so heißt wie ein Stück seines Lieblingsjazzers Duke Ellington, weiß Colin, daß die Zeiten unglücklichen Alleinseins passé sind. Rosa Wolke, aufgesessen! Eine Liebe beginnt, die noch das letzte irdische Maß verliert, die „alles Übrige verschwinden läßt, denn es ist häßlich“, wie Vian dem Buch voranstellt. Eine Liebe, erfunden und deshalb wahr. Sehr tragisch auch.

Michel Gondry, der seinen Film richtigerweise immer wieder gekürzt hat, legt zwischen Kitsch und Kunst ein Magnetfeld. Seine freie Lust am inszenierten Detail macht es den Akteuren nicht leicht, sich gegen das immer nächste Aha zu behaupten. Doch sie bekommen das hin. Und wenn dem Grellbunten immer mehr die Farbe ausgeht, das Licht gegen den Dimmer verliert, wenn kein Geld auch dieser Welt dagegen ankommt, ist die nächste stilvolle Verweigerung von Realismus im Kino noch lange nicht am Ende.

Denn so viel steht fest: DER SCHAUM DER TAGE wird denen, die ihn auf Anhieb liebgewinnen können, zum Schmeichelstein. Man wird nie so richtig fertig damit.

[ Andreas Körner ]