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Die Entbehrlichen

Familie Weiss lebt auch nebenan

Es ist eine Geschichte, wie man sie eigentlich in den „brisanten“ Sendungen des Frühabendprogramms finden könnte: Elfjähriger aus Problemfamilie lebt tagelang mit totem Vater in der Wohnung. Doch Filmemacher Andreas Arnstedt gelingt es in seinem mehrfach preisgekrönten Film, diese wahre Begebenheit in Zeiten der „neuen Armut“, die eigentlich schon lange kein Randgruppenphänomen mehr ist, authentisch und ohne den Hang zum Stigmatisieren umzusetzen. Sein Blick auf das viel debattierte „abgehängte Prekariat“ stimmt trotzdem verzweifelt.

Eigentlich war Familie Weiss eine ganz normale Familie, bis die Firma von Jürgen den Bach runter geht, und er zusammen mit Silke, seiner Frau, immer mehr in den Strudel des Alkohols gerät. Die materielle Unsicherheit führt immer wieder zu lautstarkem Streit am Abendbrottisch. Vor allem Jürgen – ausgezeichnet besetzt mit André Hennicke – kann die Frustration über seine Arbeitslosigkeit nur schwer kanalisieren. Arnstedt erzählt in Rückblenden aus der Sicht des 11jährigen Jakob, wie langsam und stetig die familiären Bande untergraben werden und selbst zärtliche Momente nicht mehr ausreichen, eine Katastrophe zu verhindern.

Vor allem ist es die ganz persönliche Katastrophe dieses kleinen Jungen, der mit allen Mitteln versucht, irgendwie alleine durchzukommen. Nur mit ein wenig Hilfe von seiner Oma und von Hannah, einer Klassenkameradin, die es besser getroffen hat mit ihrer Familie. Zumindest, was die Finanzlage angeht. Zwischen Hannah und Jakob entspinnen sich zarte Bande, doch auch sie weiß schon ganz genau einzuordnen, daß Jakob eigentlich ein „Assi“ ist, wie ihn die Klassenkameraden nennen. Es gibt noch andere Figuren, die am Rand stehen.

Gerhardt Rott zum Beispiel, der wunderliche Bewohner der Hinterhofbaracke, der als einziger seiner Familie den Holocaust überlebte und nun gefangen in seiner Welt eines Krieges lebt, den er mit Gartenzwergen führt und dessen Kampf längst verloren ist. Und das ist wohl das Eindrucksvollste an diesem Film: die unbeschönigt thematisierte Aussichtslosigkeit und eine strikte Verneinung des Fortschrittgedankens der liberalen Ökonomie. Denn nicht alle „schaffen“ es, wenn sie sich nur anstrengen. Bei Jakob und den meisten wird dann zum Beispiel ein Job in einem Möbelhaus draus, ein Leben mit den üblichen Geldsorgen. Aber wer hatte eigentlich etwas anderes versprochen?

D 2009, 95 min
Verleih: drei-freunde

Genre: Drama

Darsteller: André M. Hennicke, Steffi Kühnert, Oskar Bökelmann, Ingeborg Westphal, Mathieu Carrière

Regie: Andreas Arnstedt

Kinostart: 14.10.10

[ Susanne Schulz ]