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Ein Sommer in Haifa

Fahrige Gemengelage aus Liebe, Glücksspiel und Verrat

Ein Titel wie ein Versprechen, wie eine Hoffnung – und das kann bei einem Film über dieses schwierige, sich immerzu an seiner noch kurzen Historie reibende, manchmal in widersprüchlicher Verteidigung regelrecht aggressiv gebarende und doch zweifellos unstreitbare Land Israel kaum anders sein. Den Sommer will man riechen, denn nur wo die Sonne scheint, wächst etwas Neues mit gesunder Kraft. Die jedoch wird in Israel selbst im Sommer 2006 noch immer arg geprüft, es ist mal wieder Krieg, der wievielte eigentlich?

Doch Avi Nesher, der Regisseur des Films, will keineswegs eine rein politische Geschichte erzählen, vielmehr nimmt er das Jahr 2006 zum Anlaß, den Ehevermittler und Warenjongleur Yankele sterben und dem knapp 50jährigen Arik etwas vererben zu lassen. Auftakt zu einer Gedankenfahrt, einer Erinnerungsreise in die Zeit, als Arik noch ein 16jähriger Teenie war, Soldat werden wollte und sich sicher war, daß dieses ewige Hin und Her mit der Liebe überschätzt sei. Bis er auf den seltsamen Typen Yankele trifft, der einsame Leute verkuppelt und sich als Freund der Vaters herausstellt. Und dann schlägt auch noch die Cousine Ariks besten Freundes in Haifa auf, und das ist fast wörtlich zu nehmen: Tamara, so heißt das freizügige Mädchen, krempelt Ariks pubertären Gefühlskosmos gehörig um und treibt den orthodoxen Alten die Kippa in die Stirn. Es geht in EIN SOMMER IN HAIFA auch um zwei Welten in einer: Auf der einen Seite erleben wir das prosperierende wachsende Haifa, von oben betrachtet eine Bilderbuch-Küstenstadt, auf der anderen gibt es deren schäbige Seite, das zwielichtige Hafenviertel. Hier allerdings tobt das wahre Leben, es tummeln sich Kleinganoven, Schmuggler, Zwerge und so mancher Freak. Und es gibt ein Kino, das sich einzig und allein auf Liebesfilme spezialisiert hat. Eine Botschaft des Films, der indes zu viele haben will.

Man spürt es von Beginn an – Avi Nesher will eine Menge erzählen und leider eindeutig zu viel. Da geht die Geschichte vom Erwachsenwerden des Jungen Arik ein wenig unter in einem erklärwütigen Geflecht darüber, wie Liebe funktioniert, da wird ein seltsames Geraune über den Holocaust angestimmt, wer was verschweigt, wer sich wofür schämt, und weshalb die Jugend nur nicht das legendäre Buch „Das Haus der Puppen“ lesen soll. Dann wird dem Plot, der sich durchaus als reine Jugendgeschichte bestens hätte schlagen können, ein romantischer Überbau zugemutet, bei dem es keine wahren Sieger geben kann, weil auch dieser Strang immer wieder vernachlässigt wird. Schließlich wird der Denunziation durch den Nachbarn noch ein Kapitel gewidmet, in dem sich der Wuschelkopf Arik ganz gut schlägt, weshalb Yankele ihm knapp 40 Jahre später eben etwas vererben wird. Doch scheint all der Bombast zu viel für die schmalen Schultern des jungen Darstellers Tuval Shafir, der schöne große Augen hat und sich darauf verläßt. Dann soll noch rasch von verbotenem Glücksspiel, einem unheilbar zerbrochenen Bund zwischen Yankele und der blonden Clara und dem Betrug des besten Freundes erzählt werden.

Bis dahin aber hat selbst der Motivierteste und Wohlgesonnenste unter den Zuschauern den Faden verloren, was schade ist, weil der Puls des Filmes an sich so wunderbar im Takt eines MONSIEUR IBRAHIM UND DIE BLUMEN DES KORAN schlagen könnte. Bei dem durchaus vergleichbaren Film ging einem das Herz auf, weil der Film selbst eines hatte. EIN SOMMER IN HAIFA verstört eher durch seinen fahrigeren Puls.

Originaltitel: ONCE I WAS

Israel 2010, 118 min
FSK 6
Verleih: Bildkraft

Genre: Drama

Darsteller: Tuval Shafir, Adir Miller, Maya Dagan

Regie: Avi Nesher

Kinostart: 16.02.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.