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Frohes Schaffen

Ein Loblied auf den Müßiggang

Einfach mal daliegen und in den Sternenhimmel schauen? Oder ein Mittagsschläfchen halten? Ohne Grund mit den Kindern Plätzchen backen? Ein Buch lesen oder mit dem Fahrrad durch den Park fahren? Keine Zeit. Zu viel zu tun. Die Arbeit wartet.

Der Mensch definiert sich im 21. Jahrhundert fast ausschließlich über seine Arbeit. Wenn wir uns jemandem vorstellen, nennen wir unseren Namen und als nächstes, was wir arbeiten. In der Politik geht es nur um eines: Arbeitsplätze schaffen. Hat man vor 100 oder noch vor 50 Jahren dafür gekämpft, die Arbeitszeiten systematisch herunterzusetzen, wird heutzutage darüber gestritten, ob man im Urlaub sein Smartphone ausschalten darf. Wir sind zu zwanghaften Arbeitern geworden und haben dabei vergessen, worum es wirklich im Leben geht. Niemand würde auf dem Sterbebett sagen: „Ach, wäre ich doch länger im Büro geblieben!“ oder „Damals, das war ein toller Arbeitstag.“ Wir haben verlernt zu leben. Stattdessen arbeiten wir uns zu Tode, ohne die Früchte unserer Arbeit zu ernten.

Konstantin Faigle hat einen Film über dieses Dilemma gemacht. Einen wunderbaren Film. Ökonomen, Philosophen, Sozialwissenschaftler, Journalisten und Arbeitstheoretiker sprechen hier über die wirkliche Krise der Menschheit, den fehlenden Lebenssinn. Arbeit dient uns als neue Religion. Wer nicht arbeitet, der wird stigmatisiert. Die Aufrechterhaltung des Glaubens an Vollbeschäftigung gleicht dem Glauben an die Auferstehung und an das Paradies.

Der Film räumt auf unverkrampfte, lockere und unterhaltsame Art mit den Irrtümern der modernen Arbeitsphilosophie auf. Er ermuntert uns, der Frage wieder nachzugehen, warum wir eigentlich auf der Welt sind, und wofür es sich wirklich zu leben lohnt. Ob es tatsächlich das Geld ist, das entweder in Form von bedrucktem Papier oder mehr und mehr sogar ganz überreal in Form der Börsen existiert. Oder ob es andere Werte und Erfahrungen sind.

Selten hat man so kompetente und gleichsam unterhaltsame Interviewpartner gesehen. Konstantin Faigle ist dafür um die ganze Welt gereist. Aus allen wissenschaftlichen und kulturellen Blickwinkeln schaut der Film auf das Thema und schafft so ein umfangreiches Abbild. Die Interviews sind so gekonnt geschnitten, daß sie sich zu einem einheitlichen Plädoyer zusammenfügen. Der Enthusiasmus der Vortragenden und die Kraft ihrer Argumente reißt einen förmlich mit, und am Ende des Films möchte man aufspringen und sein Leben ändern. Und warum nicht?

D 2012, 98 min
FSK 0
Verleih: W-Film

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Konstantin Faigle
Drehbuch: Konstantin Faigle

Kinostart: 19.09.13

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...