Bild: BESCHREIBUNG EINER INSEL

paradoks

28.10.–02.11.2019

Cinémathèque

Symbiosen der Filmwelt

Ein Blick auf „paradoks“

Dokumentation und Spielfilm: eine friedliche Koexistenz, man grüßt sich, kommt einander aber nicht nah, zwei höfliche Nachbarn. Was allerdings, wenn der eine spontan beim anderen einzieht? So geschieht’s innerhalb „paradoks“, Grenzen fließen, man tritt in den Austausch, verwendet mitgebrachtes Werkzeug.

Exemplarisch dafür steht BESCHREIBUNG EINER INSEL: Fünf europäische Wissenschaftler brechen auf, die Vulkaninsel Ureparapara und deren Bewohner zu erforschen. In Wahrheit verrichtet ein Darstellerquintett ohne Drehbuch sechs Monate lang ortsübliches Tagewerk, die Beobachtenden werden beobachtet, woraus sich erheblicher Reiz generiert, dazu manches Kopfschütteln wegen ständiger verbaler Krönchengriffe: Die Zeichnerin kann unter wehenden Palmenblättern einfach nicht malen … 195 Sitzfleisch fordernde wie lohnende Minuten, Regisseur Rudolf Thome umreißt sie als „Projekt mit allen Risikofaktoren des täglichen Lebens“ – Hinzufügungen unnötig.

Ausgehend von der Prämisse, ist das Verschwimmen von Realität und Fiktion ein großer Punkt, IN DEN LETZTEN TAGEN DER STADT beweist’s nachdrücklich. Dort dreht Khalid in Kairo anno 2009 einen Film, Revolutionsahnungen schallen aus Radiomeldungen, ein Gefühl omipräsenter Schwebe piekt, Konversation über Heimat, Krieg, Einsamkeit, im Fahrstuhl dröhnen statt Dudelmusik Gebete, das Bildformat wechselt unvermittelt, Nahaufnahmen bieten faszinierende Perspektiven. Dennoch bleiben die Protagonisten unnahbare Fremde – absichtlich, sind wir Teil der Inszenierung? Zitat: „Der Zuschauer schafft die Bühne“ …

KILLER OF SHEEP wiederum zählt die National Society Of Film Critics zu den 100 wichtigsten Filmen aller Zeiten. Starke Ansage, zudem eine anfangs wenig plausible, geht es doch „nur“ fern eines konkreten roten Fadens um Stan, Familienvater, arbeitet zu böse beschwingter Musik auf dem Schlachthof – und stumpfte ab. Seine Frau klagt, er habe das Lächeln verloren, Stan selbst fehlt „Peace Of Mind“, gleichzeitig vermag er sich an Kleinigkeiten zu erfreuen, eine warme Teetasse an der Wange beispielsweise. Konfliktlösungen gibt’s hier keine, schnörkellose Schwarzweißbilder kontrastieren Songs von Koryphäen à la Dinah Washington oder Louis Armstrong, einmal die intonierte Frage: „What Is America To Me?“ Schließlich offenbart sich die Relevanz jenes tatsächlichen Meisterwerks, liegt darin, auf Düsternis, Schrecken, Absurdität menschlicher Existenz zu blicken und trotzdem hochachtungsvoll ihrer endlichen Schönheit zu begegnen.

PUNISHMENT PARK macht ebenfalls Amerika zum Thema – der Vietnamkrieg provozierte weltweit Spannungen, inländische Unruhen toben, verurteilte Rebellen müssen unter Gefängnis und Strafpark wählen. Letzterer verspricht jedem Häftling Amnestie, der vor Ablauf dreier Tage die US-Flagge erreicht, nach wasserloser 85-Kilometer-Flucht durch Wüstengebiet, militärisch verfolgt. Ein TV-Team darf einen solchen Höllenmarsch begleiten, seine Eskalation protokollieren … Aus dieser Handlung, vermengt mit improvisierten Verhören und Interviews, entsteht ein finsteres Politpanorama, sicher einigermaßen polemisch, davon unabhängig auch bedrückend – und angesichts aktueller globaler Entwicklung wohl gar nicht mehr so undenkbar.

Weitere Filme bestehen aus dem Material verschiedener Überwachungskameras (11.000 Stunden wurden ausgewertet!), beleuchten die Suche eines mauretanischen Migranten nach dessen Vorfahren oder erzählen eine Dreiecksgeschichte – dazu informiert die Cinémathèque ebenso wie über das Programm begleitende Diskussionen und Einführungen. Wir empfehlen hingegen wärmstens, von Entdeckergeist erfüllt das pralle Angebot zu nutzen.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...