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Der Einstein des Sex

Praunheim belehrt mit Schulbuchkino

Magnus Hirschfeld gilt als der berühmteste Sexualwissenschaftler der Welt. Jung beginnt er, Thesen wie "Homosexualität ist krankhaft" anzuzweifeln. Nach Abschluß seines Studiums eröffnet er eine Praxis und durch ein traumatisches Ereignis - einer seiner Patienten flieht auf Grund der unerbittlichen Sexualmoral Ende des 19. Jahrhunderts in den Freitod - stürzt sich Hirschfeld in die Sexualforschung. Erste Publikationen entsetzen Verwandte und reaktionäres Volk. Als er den Baron von Teschenberg kennenlernt, erlebt er seine erste große Liebe. Doch da er durch Bekanntwerden dieser Beziehung seine wissenschaftliche Arbeit bedroht sieht, bekennt er sich nicht zu ihm. Kurz nach dem 1. Weltkrieg eröffnet Hirschfeld sein schnell weltweit renommiertes Institut für Sexualwissenschaft. Unmittelbar nach der Regierungsübernahme der Nazis wird es wieder geschlossen und zerstört und Hirschfeld steht als Jude, Sozialdemokrat und Schwuler auf der Abschuß-liste ganz oben. Er muß fliehen...

Es hätte großes Kino werden können, was sich Praunheim hier vorgenommen hat.

Der Forschungsdrang, das private Scheitern und das turbulente Schicksal Hirschfelds sind Stoff genug für hoch emotionales, internationales Kino. Doch Praunheim ist einfach nicht der Mann für leise Zwischentöne, für inszenatorische Nuancen. Er kleckert ähnlich trashig in der Dramaturgie wie bei all seinen vorangegangenen Filmen. Doch das was bei Praunheim immer hoch geschätzt wurde - schrill-schräge Inszenierung, dilletantische Undergroundakteure, aufklärerische Provokation etc. - will bei diesem ernsten Stoff weder genügen noch passen. Er wird dem Leben und der Person Hirschfelds damit nicht gerecht. Die Schauspieler agieren im Stakkato, die Kulisse wird recht lumpig zusammengestellt und Hirschfelds Arbeit verkommt zum teilweise unfreiwillig komischen Lehrbuchkino. Besonders peinlich kliert Praunheim die Transvestitenforschung hin. Das Ganze ist ziemlich unausgegoren, zumal man spürt was der Regisseur vorhatte. Schon die Musik verrät den Wunsch nach epischer Größe. In seinem Buch 50 JAHRE PERVERS schrieb Praunheim: "Die ersten Filme sind die besten" Er sollte recht behalten.

D 1999, 102 min
Verleih: Ventura

Genre: Biographie, Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Kai Schuhmann, Otto Sander, Ben Becker, Tima die Göttliche

Regie: Rosa von Praunheim

Kinostart: 11.03.00

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.