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Der Mond und andere Liebhaber

Nix mit Sushi!

Zu sehen: Industriebrache plus Werkhalle. Darauf zu wackelt hastig eine etwas ältere Frau. Die Kamera wackelt hinterher. Bis die ältere Frau nicht mehr wackelt, sondern neben einer Jüngeren am Tisch sitzt. An dem entspinnt sich ein Dialog, in dem Letztere ihre Befindlichkeiten äußert. Etwa, daß sie keine für die Büroarbeit ist. Sie will was mit zupacken, etwas wovon man müde wird. Und sie will auch keine Kollegenschnösel, die Mittag beim Italiener oder Inder essen. Was sie will, ist richtige Arbeit und Kartoffelsuppe mit Bockwurst.

Ächz! Kartoffelsuppe mit Bockwurst! Bei soviel 08/15-Authentizität möchte man sofort gehen und irgendwo Sushi essen. Allerdings würde man dann verpassen, wie innerhalb der nächsten Minuten DER MOND UND ANDERE LIEBHABER eine Kehrtwende macht und das Wunder geschieht, daß man auf der Leinwand etwas geboten bekommt, was einem die eigenen voreiligen Urteile restlos austreibt. Zu sehen ist etwas Seltenes: ein Film, der Realismus und Poesie vereint. Eine kleine Geschichte, kraftvoll, aber nicht grobschlächtig. Und mit Bildern, die sich aufs Kino besinnen.

Bernd Böhlichs DER MOND UND ANDERE LIEBHABER erzählt von einer Frau, die an ihrer Lebenslust schier zu zerreißen droht. Hanna heißt die, lebt allein mit ihrer Teenagertochter und hat Kraft genug, allen Kraftlosen ihrer Umwelt die Leviten zu lesen. Etwa Kartoffelsuppenfreundin Dani. Halb so alt wie Hanna und doppelt so verzweifelt, ob Arbeitslosigkeit und Einsamkeit. Böhlich beginnt seine Geschichte als ruppig-humorvolles Porträt. Um so härter dann die Schicksalsschläge, die folgen - und die man hier nicht verraten darf, weil es das Staunen darüber schmälern würde, wie rigoros Böhlich seine kleine Alltagsgeschichte in eine Tragödie münden läßt. Wie Hiob fast, erscheint einem Hanna da. Als solle geprüft werden, wie viel Lebenskraft diese kleine Frau dem Leid tatsächlich entgegenzusetzen hat.

Das mag manchmal pathetisch sein und ein wenig zieht auch die Furcht ein, Böhlich würde den Bogen überspannen. Aber zum einen darf Kino pathetisch sein, und zum anderen meistert Katharina Thalbach (Hanna) souverän die emotionale Tour de Fource ihrer Rolle. Daß Fritzi Haberland als Dani den angemessen ruhigen Gegenpart spielt, ohne dabei zu verblassen, verweist hier nur auf eins: tolle Schauspieler, tolle Regie, tolles Kino. Und das mit dem Sushi vergessen Sie einfach!

D 2008, 101 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Katharina Thalbach, Birol Ünel, Fritzi Haberlandt, Steffen Scheumann, Andreas Schmidt

Regie: Bernd Böhlich

Kinostart: 24.07.08

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.