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Die große Depression

Es war einmal ... ein Versuch

"Sind wir Deutsche depressive Jammerlappen oder sind wir einfach nicht ganz dicht?!" Nimmt man sich dieser Fragestellung - Ausgangspunkt von Konstantin Faigles dokumentarischem Film - ernsthaft an, ist man als Deutscher schon ziemlich dicht. Dicht dran am Gestus des Regisseurs. Depressiv und jammern mag dieser Film manchen Zuschauer machen, und andere werden ihn mögen. Aber der Reihe nach.

Am Anfang steht das "Es war einmal ...". Faigle führt im Prolog durch sanft geschwungene Täler Süddeutschlands hinein in seine Biographie und läßt den Zuschauer Anteil nehmen. Seine Intension für diesen Film erklärt er mit der eigenen Depression und damit, daß er diese, selbst Vater werdend, seinem Kind nicht wünscht. Und so will er ihr auf den Grund gehen. Er nimmt sich die deutsche Geschichte her und zählt in kleinen Szenen ihre großen Ereignisse auf. Sein Kunstgriff heißt hier "Puppenspiel", und das Ganze ist ein salopp inszenierter Grundkurs in Historie, der allerdings auch schmerzlich an das nationale Bildungsdefizit und die Pisa-Studien erinnert. Parallel dazu begibt sich der Regisseur auf eine soziologische, ethnologische und naturwissenschaftliche Reise durch das Land der Depressions-Gebeutelten. Er trifft Einheimische und Touristen, Souvenirverkäufer und Mönche, glückliche Menschen am Starnberger See und unglückliche auf Leipzigs Straßen. Im Max-Planck-Institut für Hirnforschung fragt er nach dem deutschen Schwermuts-Gen und entwickelt gar eigene Theorien, wie man dieses durch den "Import glücklicher Inder aus Kerala" bezwingen könnte.

Faigle hat für seinen Film auch Walter Jens und Alice Schwarzer vor die Kamera bekommen, und er trifft eine MEM-Expertin (wird im Film erklärt) und einen Risikoforscher. Alles in allem ist der Regisseur gut unterwegs in Sachen GROSSE DEPRESSION. Leider stellt er den vielleicht richtigen Leuten oft die falschen Fragen, und seine satirische Ursachenforschung kommt nicht über das Aufzeigen von Klischeevorstellungen hinaus. Wenn er sich in einer Szene mit einem Transparent "Deutsche hört auf zu jammern" unter Montags-Demonstranten mischt, die Reaktionen der Menschen filmt, aber selbst nichts zu sagen hat, mag das hierzulande (im Osten) schon befremden.

Ein Glück deshalb, daß Faigle am Ende wieder sehr privat wird und die mögliche Provokation wieder in frech-fröhliche Unterhaltung übergeht. Es kursiert eine Redewendung, die besagt, daß der Versuch adelt. Es gilt, dies zu überprüfen.

D 2005, 92 min
Verleih: Timebandits

Genre: Dokumentation, Satire

Darsteller: Prof. Dr. Holsboer, Anselm Grün, Walter Jens

Regie: Konstantin Faigle

Kinostart: 01.09.05

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.