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Die große Reise

Es ist besser mit dem Auto als mit dem Schiff

Warum sein Vater nicht einfach ins Flugzeug steigt, um nach Mekka zu gelangen, will Réda, Sohn marokkanischer Einwanderer, einfach nicht in den Kopf. Jetzt muß er den Alten den langen Weg von Frankreich bis zur heiligen Stätte fahren. Doch der Vater hat eben seine eigenen Vorstellungen von der Pilgerfahrt, zu der die Entfernung dazu gehört: Besser zu Fuß als zu Pferd, besser zu Pferd als mit dem Auto, besser mit dem Auto als mit dem Schiff usw.

Unterwegs wird viel geschwiegen und gegrollt, aber Kommunikation findet in jeder Geste statt, erst recht nachdem der Vater heimlich das ständig klingelnde Mobiltelefon des Sohnes in einem Mülleimer entsorgt hat. Die persönliche Zuwendung wird schließlich durch Hindernisse und Begegnungen unterwegs auf unbekanntem und teils abenteuerlichem Terrain erzwungen. Schritt für Schritt geht es darum, die Entfremdung in der Familie zu überbrücken, die auch eine gesellschaftliche ist. Vater und Sohn bilden dabei zugleich die Pole der Reise. Réda steht für das moderne Frankreich, das sein Vater, obwohl er seit dreißig Jahren in diesem Land lebt, nicht akzeptiert. Der Vater steht für Mekka und die ehrenvolle Bewahrung der muslimischen Tradition, die dem Sohn fremd ist.

Die Geschichte ist modellhaft und allgemeingültig, doch schön daran ist, man merkt es ihr nicht an. Ismael Ferroukhi setzt die Enge des Autos gegen die weiten Landschaften des Balkans und der arabischen Wüste; er setzt den dickköpfigen Vater gegen den dickköpfigen Sohn, um beiden zur rechten Zeit Momente der Nähe zu schenken, wie man sie jedem Vater und Sohn einmal wünschen würde. Daß das so gut funktioniert, verdankt er nicht nur seinen Darstellern, sondern auch der sorgfältigen Vorarbeit, die über fünf Jahre gedauert hat.

Mit warmherzigem Humor gelingt ihm so ein poetisches und anregendes Roadmovie, das bis ins Detail liebevoll gestaltet ist. Nicht zuletzt ist die cineastische Reise nach Mekka aber auch versöhnliche Annäherung an einen Islam, der so überhaupt nicht dem Bild der Medien entspricht.

Originaltitel: LE GRAND VOYAGE

F 2004, 102 min
Verleih: Arsenal

Genre: Drama

Darsteller: Mohammed Majd, Jacky Nercessian

Regie: Ismael Ferroukhi

Kinostart: 22.12.05

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...