Originaltitel: EN DUVA SATT PÅ EN GREN OCH FUNDERADE PÅ TILLVARON

S/Norwegen/F/D 2014, 100 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Satire, Tragikomödie, Schräg

Darsteller: Holger Andersson, Nils Westblom

Stab:
Regie: Roy Andersson
Drehbuch: Roy Andersson

Kinostart: 01.01.15

10 Bewertungen

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

Auf Augenweiden – Ein gefräßiger Versuch über die Vergeblichkeit

Wenn man zwischen zwei Katastrophen die Luft anhält, die Augäpfel nach innen dreht und versucht, nicht in hysterisches Lachen auszubrechen, wenn einem der Staub eines kläglichen, verschwendeten Lebens wie Kokain in die Nase steigt – dann handelt es sich um einen echten Roy-Andersson-Moment. Und wem, wenn nicht diesem schwedischen Filmtotalitaristen, wäre es je gelungen, einem solchen Moment so etwas wie Erhabenheit abzugewinnen?

1970 wagte sich Andersson mit seinem Langfilmdebüt an die Kinoöffentlichkeit, um ihr bereits 1975 nach desaströser Kritikerschelte für den Nachfolger GILIAP den Rücken zu kehren und sich der Werbung zu widmen. War er seiner Zeit voraus, oder hinkte er ihr hinterher? Als Andersson nach 25 Jahren mit SONGS FROM THE SECOND FLOOR wieder auftauchte, interessierte das niemanden mehr. Denn hier hatte ein heimlich gereifter Filmemacher einen ästhetischen Klammergriff gefunden, mit dem sich das Absurde umarmen ließ, und zwar lächelnd. Damit begann nicht nur eine delikate, manchmal irritierende cinephile Freundschaft mit Kritik und Publikum, sondern auch eine Trilogie über nichts Geringeres als das Menschsein.

Der Abschlußteil flattert nun – geschlagene 14 Jahre später – auf einer Taube hinterher, die sich zu allem existentiellen Unglück, zu allen ikonographischen Anleihen bei europäischer Trivial- wie Hochkultur auch noch mit einem venezianischen Goldenen Löwen abschleppen muß. Es wurde höchste Zeit. Vor dem grüblerischen Vogel breitet Andersson eine weitere seiner künstlichen Filmwelten aus – kahle, fahl beleuchtete Wohn-, Kranken- und Arbeitszimmer, Kneipen, Kulissengassen und Schaufensterfluchten. Tja, wenn schon sonst jede Kommunikation mißlingt, so gibt es doch immerhin kommunizierende Räume. Ausdrücklich sind die zu Fuß zu durchschreiten. Denn für diese Gemächer braucht es Gemach. In ihnen lustwandeln lauter Sisyphos-Wiedergänger, teigige Gescheiterte, Im-Weg-Steher und Angetrunkene, vor Kummer oder vor Lethargie Verstummte, gelegentlich sogar König Karl XII. und ein paar afrikanische Sklaven. Vorneweg schlurfen zwei betrübte Scherzartikelhändler, die ihre Verkaufsgespräche stets folgendermaßen einleiten: „Wir möchten den Menschen helfen, Spaß zu haben.“ Tatsächlich, kaum ein Schlachtruf stünde diesen glücklosen Wladimir- und Estragon-Typen, die auf Godot oder Gott weiß was warten, besser zu Gesicht.

Roy Andersson gehört nicht zu den gesetzten Kinoonkeln, die sich an irgendeinem Erzählfaden zum Abspann hangeln. Wenn überhaupt, dann erzählt er im Zweifelsfall lieber einen Bildwitz. Zum Beispiel den vom braven Biedermann, der sein Leben beim Öffnen einer Weinflasche in der heimischen Stube aushaucht. Oder den vom Fähroffizier, dessen plötzlicher Tod eine Cafeteria-Mitarbeiterin in existentielle Verlegenheit bringt, weil sein Bier ja schon bezahlt war. Und sollte ihm einmal gar nichts mehr einfallen, so läßt er seine verstockten Figuren unvermittelt in Gesang ausbrechen, spielt einen Walzer ein oder setzt zu einem Zeitsprung an, ganz einfach.

Ganz einfach? Nein, in jedem von Anderssons für die Ewigkeit geschnitzten und altmeisterlich ausgemalten Tableaus wird eine Welt vermessen – geduldig, pedantisch, in langen Einstellungen, mit grimmig-fröhlichem Defätismus, angewurzelter Kamera sowie einer fast erdrückenden Liebe zum Gewöhnlichen und zu den schwarzen Löchern in der Matrix. Apokalypse? Wow!

[ Sylvia Görke ]