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Lampedusa

Eine Kindheit zwischen Felsen und Meer

"Rede ich mit der Wand? Verschwinde aus meinem Haus" - was kann das für ein Film sein, in dem ein 5jähriger diesen Macho-Satz heraus haut?

Pasquales wunderschöne Mutter Grazia ist den Dorfbewohnern ein Dorn im Auge. In Phasen der Lebensfreude überschüttet sie jeden mit Liebe, ihren Mann, die Haushunde, vor allem aber ihre Söhne. Ebenso unberechenbar sind Grazias Zeiten der Trauer und Wut, da tobt sie, macht allen Angst. Das beste wäre, sie zu einem Spezialisten zu schicken, soll er doch ihre Macken aushalten. Sie paßt einfach nicht ins ausgebleichte Leben auf der Fischerinsel Lampedusa, wo die Männer den Tag über auf See sind und dicke, alte Frauen wissen, was "gut und richtig" ist. Dazwischen Jungs, die ihre Zeit mit Fehden und Vogeljagd verbringen und Mädchen, die es nicht erwarten können, den Männern die Köpfe zu verdrehen. Als Grazia aus Wut eine Katastrophe auslöst, muß Sohn Pasquale sie verbergen, damit sie nicht nach Mailand in psychiatrische Behandlung geschickt wird. Doch wie lang kann er das Geheimnis für sich behalten, wo sein Vater Pietro nun doch vor Kummer vergeht? Dieser Sommer wird Pasquale seine Unbedarftheit nehmen.

Wo halbwüchsige Jungen schon Machos sind, wo sich Temperament lauthals Luft macht, da kann das Mittelmeer nicht weit sein. Lampedusa ragt wie eine scharfkantige weiße Muschel aus dem Wasser, und der 13jährige Pasquale lernt in diesem Sommer Angelegenheiten der Erwachsenen kennen: Geschlechterrollen und die Unfähigkeit, manisch-depressives "Anderssein" zu akzeptieren. Es sind schon böse Konflikte, die Autor und Regisseur Emanuele Crialese seinem kleinen Helden aufbürdet. So wundert es nicht, daß er trotz allen guten Willens letztendlich auf eine fadenscheinige Halblösung aller Probleme zurückgreift. So ein kleiner Feigling.

Doch auf dem Weg dahin beschwört LAMPEDUSA das flirrende Gefühl vom Ende der Kindheit herauf und zeigt sich als poetischer Film, der Klassikern des Genres - AM GROSSEN WEG und STAND BY ME - ehrfürchtig die Hand reicht.

[ Roman Klink ]