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Man On Wire

Über ein Leben auf dem Drahtseil

Am frühen Morgen des 7. August 1974 setzt der französische Lebenskünstler und Artist Philippe Petit seinen Fuß auf ein stramm gespanntes Stahlseil und beginnt zu gehen. 400 Meter unter ihm reiben sich die müden Passanten die Augen. Der ganz in Schwarz gekleidete Mann, der dort mitten in Manhattan zwischen den beiden Türmen des gerade fertiggestellten World Trade Centers hin und her balanciert, scheint nicht von dieser Welt zu sein. 45 Minuten dauert sein Spaziergang zwischen Himmel und Erde, bis er das Hochseil verläßt und von der bereits wartenden Polizei in Gewahrsam genommen wird. Auf den Polizeifotos zieht er fröhlich Grimassen, und der Polizist, der ihn damals vorübergehend festnahm, bekommt bei der Erinnerung daran noch heute feuchte Augen. Mission Accomplished.

Philippe Petit ist eben nicht nur begeisterter Seiltänzer, sondern vor allem ein unbelehrbarer Träumer, der die Metapher vom Leben auf dem Drahtseil ganz wörtlich nimmt. Er braucht das Risiko, um zu fühlen, daß er lebendig ist. Und wo könnte man sich – folgt man dieser Logik – lebendiger fühlen als in der Luft zwischen den kurzzeitig höchsten Türmen der Welt?

Der erfahrene Dokumentarfilmer James Marsh hat nun über Petits spektakulären Spaziergang zwischen den Twin Towers einen Film gedreht, der die Operation im Stil eines Caper Movies in Szene setzt. Er mischt authentisches Super-8-Material mit Fotos, Interviews und komplett nachgestellten Szenen. Im klassischen Reportagestil (treibende Musik, Re-Enactments, schnelle Schnitte und Talking Heads) rekonstruiert er die ausgeklügelten Vorbereitungen, die notwendig waren, um das über 200 kg schwere Stahlseil und die restliche Ausrüstung unbemerkt in die schon damals gut bewachten Türme zu schmuggeln.

Marsh weiß durchaus, wie man Zuschauer fesseln kann. Leider verläßt er sich aber am Ende ein bißchen zu sehr aufs altbekannte Zwei links-Zwei rechts-Doku-Schema und läßt damit leider genau das vermissen, was an seinem Protagonisten so gefesselt hat: der Mut zum Risiko.

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.