Originaltitel: ROOM

Irland/Kanada 2015, 118 min
FSK 12
Verleih: Universal

Genre: Psycho, Thriller, Drama

Darsteller: Brie Larson, Jacob Tremblay, Joan Allen, William H. Macy

Regie: Lenny Abrahamson

Kinostart: 17.03.16

3 Bewertungen

Raum

Die Schwierigkeit von Freiheit

„Guten Morgen Lampe, guten Morgen Waschbecken, guten Morgen Eierschlange ...“ Es ist ein zärtliches, sanft erheiterndes und stark berührendes Ritual des kleinen Jack. Er umarmt Vertrautes, versichert sich somit einiger Atmosphäre, teils in kindlicher Anwandlung, mehr noch, weil ihm nichts anderes übrigbleibt neben den vielen Fragen an Mama. Keine zehn Quadratmeter teilen sich die beiden, Tageslicht kommt allenfalls durch eine Luke in der Decke, „frische“ Luft durch die Klimaanlage, und ausgerechnet sonntags, am Tag des Herrn, schaut ein Typ namens Old Nick vorbei, um zwar überlebenswichtige Dinge zu bringen, sich aber auch an Jacks Ma zu vergehen und umgehend dafür zu sorgen, daß die schwer gesicherte Tür unwiderruflich ins Schloß fällt. Ausgerechnet der Sonntag wird für die beiden zum absoluten Härtetest: Ma versteckt ihren Jungen vor Old Nick im Schrank, erduldet dafür die Übergriffe, während Jack im Schrank keinen Schlaf findet.

An „normalen“ Wochentagen leben die beiden ihr den Umständen angepaßtes Leben: Ma erklärt dem Kleinen, daß die TV-Bilder künstlich seien, Jack ahnt nichts von einer Welt da draußen, kann sich nicht einmal vorstellen, was ein Hinterhof sein soll. Durch die Schranktürlamellen wähnt er Old Nick, unterm Kühlschrank entdeckt er eine Maus, mehr Leben außer dem eigenen und dem seiner Ma gibt es für ihn nicht. Das Erzählen von Geschichten hilft wie tägliche Stretchübungen und Vitaminpillen beim Überleben. Zum fünften Geburtstag gibt es einen Kuchen, Ma und Jack teilen sich Bett und Badewanne, und manchmal schreien sie wie verrückt, obwohl Ma genau weiß, daß keiner sie hören wird. Old Nick hält die junge Frau schon seit sieben Jahren gefangen ...

Lenny Abrahamson erzählt eine an sich einfache Geschichte, er erzählt sie vornehmlich still, in behutsamer Rätselhaftigkeit, ganz ohne plumpe Thrilleraufmotzung, wodurch sich Empathie und Hochspannung einstellen, Fragen aufkommen, auch die nach einem Fluchtversuch. Doch, doch, den hatte es früher gegeben, der endete schmerzlich für Ma. Weil RAUM aber ein Film ist, der von verzweifelter, überbordender Mutterliebe erzählt, wird es einen zweiten Fluchtversuch geben, der trotz oder gerade wegen seiner Schlichtheit dem Zuschauer schwer auf die Brust drückt. Wir teilen Jacks Angst vor dem Versuch, sich totstellend in einem zusammengerollten Teppich nach draußen zu kommen, es rührt zu Tränen, wenn der Kleine seine Ma bittet, doch damit bis zu seinem sechsten Geburtstag zu warten. Doch Ma kann nicht anders ...

Wie groß muß Verzweiflung sein, sich von der Welt da draußen allumfassende Erlösung zu versprechen? Jacks Großeltern haben sich durchaus ein Leben nach dem Verschwinden der Tochter eingerichtet, sicher eines voller Schmerz, aber eben doch ein irgendwie lebensfähiges. Gelingt die Flucht, wartet auf Jack ein Leben voller Lärm, Keime, Gerüche und Reaktionen, die mit seiner bisherigen Existenz kollidieren. Abrahamson gelingt es, überzeugend und ganz ohne Demagogie von Gewalt, oszillierenden Illusionen und immanenten Gefängnissen der modernen Welt zu erzählen, und mit seinem Film RAUM erwischt er uns kalt, und das, obwohl wir nach den Fällen Kampusch und Fritzl die komplett unschuldige Sicht verloren haben dürften.

Bleibt noch zu erwähnen, daß mit Jacob Tremblay ein Darsteller verpflichtet wurde, der umwerfend ist. Keines dieser altklugen Kinder, ein sensibler, intelligenter und auch noch phantasievoller Junge, der einem das Herz rührt und nicht mehr aus dem Sinn geht.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.