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Schußangst

Einsame Menschen

Dito Tsintsadze hat den Blick dafür: für einsame und im Leben zurückgeworfene Menschen. Er erspäht sie in den Straßen und hinter ihren Fenstern, wo sie bei Lampenschein oder vor dem Fernseher sitzen. Ein Mantel der Hilflosigkeit umgibt sie. Und wenn sie nichts zu sagen wissen, dann schweigen sie halt. Der georgische Regisseur hatte bereits in LOST KILLERS für einen lakonischen und oft grotesken Realismus verantwortlich gezeichnet. Auch dort sollte jemand schießen und konnte es nicht. In SCHUSSANGST ist es ein Zivildienstleistender, dessen Liebe zu einem geheimnisvollen Mädchen eine unheilvolle Seite in ihm aktiviert.

Lukas ist ein durch und durch passiver Held, der nicht gerade sprüht vor Charme, weder Freunde noch Familie hat und in einer fremden Stadt Essen auf Rädern ausfährt. Während des Tages hat er mit allen nur denkbaren gesellschaftlichen Randgestalten zu tun, denen er in ihrem Unglück nicht helfen kann. Abends zieht er im Ruderboot seine Bahnen auf der Saale - ein Bild der Abgeschlossenheit. Und dann ist da Isabella. Eines Tages steckt sie ihm in der Straßenbahn einen Zettel zu: "Hilf mir!" Er heftet sich an ihre Versen und verfällt der jungen Frau, die zugleich verschlossen und offen, zerbrechlich und stark wirkt und die kommt und geht, wann es ihr paßt. Das Geheimnis lüftet sich: Isabella hat einen älteren Geliebten, von dem sie nicht frei kommt. Ihren Stiefvater. Sie versucht, ihre Ruhe wiederzufinden, Lukas auch. Er will Isabella helfen. Dann wird Lukas aus heiterem Himmel ein Gewehr angeboten, und aus dem Liebesfilm wird ein Thriller. Wenn auch ein ungewöhnlicher. Denn noch deutlich vor Filmende gerät das Ziel aus dem Visier. Während der Zivi von einem seiner Patienten, einem ehemaligen Scharfschützen, mit Krücken schießen lernt und gegen seine Schußangst kämpft, stirbt der Nebenbuhler einfach so, an Herzversagen.

Das Perfide ist, daß der Schuß trotzdem raus muß. Der Schuß ist ein Befreiungsakt, der sich lange ankündigt. Ja, sogar die Polizei weiß schon lange vor Lukas, daß er etwas plant, auch wenn sie durch völlig aberwitzige Indizien auf seine Fährte gerät. Das Ende ist nicht unbedingt psychologisch überzeugend, aber es ist unausweichlich. Der Held handelt und das tut bei Tsintsadze weh. Trotz oder gerade wegen des staubtrockenen Humors, mit dem er die Traurigkeit des Alltags anreichert.

D 2003, 101 min
Verleih: Zephir

Genre: Drama

Darsteller: Fabian Hinrichs, Lavinia Wilson, Johan Leysen

Regie: Dito Tsintsadze

Kinostart: 15.04.04

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...