Originaltitel: CHRONIQUE D'UNE LIAISON PASSAGÈRE

F 2022, 101 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie, Romantik

Darsteller: Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet, Maxence Tual

Regie: Emmanuel Mouret

Kinostart: 23.03.23

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Tagebuch einer Pariser Affäre

Bettlektüre, gar nicht zum Einschlafen

Der deutsche Titel setzt, schon romantisch, dort die Stadt der Liebe hin, wo im Original ein kühles „vorübergehend“ das Ende ahnt. Tatsächlich ist beiden Protagonisten dieses aufs Körperliche fokussierten Spiels die begrenzte Dauer bewußt und außerdem logisch, betrachtet man die charakterlichen Grundgerüste. Charlotte, eine sehr souveräne Alleinerziehende, hält wenig von Routine: „Ich kann Wiederholungen nicht ausstehen.“ Hingegen sucht Simon, Langzeitehemann und tapsiger Bär, zwar Lendenkitzel, hat aber bereits bei Basisdingen keinen Plan: „Ich weiß nicht, worüber ich reden soll.“ So werden es Referate über seine Familie, bevor man miteinander schläft. Sich wiedersieht.

Moment! Hatte Charlotte, die Freiheitsliebende, nicht auf Unabhängigkeit gepocht? Ein Schutz vor tieferen Gefühlen, klar, jeder Mensch trägt einen Rucksack aus Erfahrungen, Erlebtem und Erinnerungen, sie knallt ihren Simon vor die Nase. Sein Neurosengarten blüht parallel opulent, er fühlt sich sicher, wenn ihn ein goldener emotionaler Regelkäfig umengt. Das harmoniert dann doch prächtig, gestattet sukzessive Unternehmungen, ausgiebige Gespräche, veritable Wortgefechte, partielles Aufbrechen.

Verbindlichkeit entsteht dennoch kaum, selbst der Zuschauer bleibt Beobachter, lernt unter anderem nie Simons Frau kennen, was schade ist. Sie geistert bloß als Schreckgespenst durch viele Dialoge, ohne eigene Bedürfnisse oder aufgebrachtes Verständnis, ein krakenarmiges Monogamie-Monster. Welches sich indes eventuell genauso sehnt wie ihr auf außerpartnerschaftlichen Wegen tänzelnder Gatte? Zumal Liebe Teilen ermöglichen sollte, gewachsenes Vertrauen und Zusammengehören von amourösen Ausflügen unerschüttert stehen. Dafür gelingen visuell starke Momente ungekünstelter Wahrheit: Zwei zugewandte Gesichter, Charlotte ungeschminkt. Oder die Kamera, nach substanzieller Frage – mögliches Verliebtsein betreffend – auf ihren unbewegten Hinterkopf zufahrend.

Die romantische Komödie entsteigt hier ihren oft naiven Kinderschuhen und erlaubt vorsichtigen Optimismus; für unser manchmal deutlich zu kommunikationsfreudiges Pärchen – dessen Affäre sich gleichzeitig unverhofft und traditionell entwickelt – ebenso wie das Genre. Vielleicht kann es zukünftig sogar mutig unbeschwert auch von wirklich offenen Beziehungen erzählen …

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...