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Teheran Tabu

Leben mit der Doppelmoral

Je mehr Verbote und Tabus in einer Gesellschaft existieren, um so größer sind die Versuchung, aber auch die innere Notwendigkeit, sie zu umgehen. Viele Menschen lassen sich nun einmal ungern bevormunden und in ihren Entscheidungen einschränken. Im Iran herrscht seit der Islamischen Revolution 1979 ein religiös-repressives System, das seine Bürger bis in ihren intimsten Lebensbereich hinein reglementiert. In einer solchen Gesellschaft kann eine unbedachte Liebesnacht ebenso verhängnisvolle Folgen haben wie ein dummer Telefonstreich. Die Leute verschwenden ihre Kraft darin, ständig nach außen den Schein zu wahren, weil oftmals absurde Regeln dies vorgeben. Gleichwohl weiß jeder, wie man diese Regeln umgehen kann, allerdings ist das Risiko hoch, und wer kein Geld, Beziehungen oder genug innere Widerstandskraft hat, zahlt im schlimmsten Fall mit seinem Leben.

Der Animationsfilm TEHERAN TABU erzählt die miteinander verschränkten Geschichten von vier jungen Iranern, die alle auf ihre Art versuchen, ihre Spielräume auszureizen. Einige von ihnen scheitern tragisch, andere sehen für sich nur den Ausweg, ihr Land zu verlassen. Dabei stehen zwei starke, wenn auch gegensätzliche Frauen im Mittelpunkt: Sara und Pari. Erstere lebt das Musterleben einer gehorsamen Iranerin zusammen mit ihrem Mann und ihren Schwiegereltern. Es wird von ihr erwartet, glücklich mit ihrer Hausfrauen- und baldigen Mutterrolle zu sein, doch insgeheim träumt Sara davon, als Lehrerin zu arbeiten. Ihr Ehemann Mohsen, ein Bankangestellter, mag davon nichts wissen. Auch Pari ist verheiratet, allerdings sitzt ihr drogenabhängiger Mann im Gefängnis und willigt nicht in eine Scheidung ein. Um den Lebensunterhalt für sich und ihren stummen 5jährigen Sohn Elias zu verdienen, prostituiert sich die kämpferische Pari unter anderem bei einem angesehenen Richter. Als sie Nachbarinnen werden, freunden sich die beiden Frauen an. Den Studenten Babak und das junge Mädchen Donya hingegen verbindet ein drogengeschwängerter One-Night-Stand in einem illegalen Club. Anschließend verlangt die verzweifelte Donya von dem mittellosen Musiker, für eine Operation aufzukommen, die ihre Jungfräulichkeit wiederherstellt, denn ihr Wert bemißt sich allein am Jungfrauenstatus. 

TEHERAN TABU ist der Blick von Exiliranern auf ihre frühere Heimat. Regisseur Ali Soozandeh verließ als 25jähriger sein Geburtsland und lebt seit 1995 in Deutschland. Auch die iranischstämmigen Schauspieler sind alle entweder in Deutschland aufgewachsen oder als junge Erwachsene emigriert. Da ein Dreh in Teheran schwierig bis unmöglich gewesen wäre, entschied man sich, die Geschichte als Animationsfilm im Rotoskopie-Verfahren zu erzählen. Dabei werden die Darsteller zunächst vor einem Greenscreen gefilmt und anschließend zusammen mit den Hintergründen digital animiert. 

Die Animation ist aber keine Notlösung, sondern ein eigenes künstlerisches Statement. Die Bilder sind von expressiver Kraft, die das Wesentliche in den Vordergrund rücken. Soozandehs Film steht in der Tradition von Meisterwerken wie PERSEPOLIS oder WALTZ WITH BASHIR, auch wenn er nicht ganz deren Intensität erreicht. Trotz des ernsten Themas ist TEHERAN TABU kein bodenschwerer Fim geworden, dafür sorgt vor allem der Junge Elias, der immer im rechten Moment seine Wasserbomben von oben fallen läßt.

D/Österreich 2017, 96 min
FSK 16
Verleih: Camino

Genre: Animation, Drama, Schicksal

Darsteller: Elmira Rafizadeh, Zar Amir Ebrahimi, Arash Marandi, Bilal Yasar, Negar Mona Alizadeh

Regie: Ali Soozandeh

Kinostart: 16.11.17

[ Dörthe Gromes ]