Originaltitel: AN CAILÍN CIÚIN

Irland 2022, 94 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Poesie, Erwachsenwerden

Darsteller: Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nic Chonaonaigh

Regie: Colm Bairéad

Kinostart: 16.11.23

5 Bewertungen

The Quiet Girl

In der Stille liegt die Kraft

Cáit, neun Jahre alt, neigt zur Schweigsamkeit. Was sollte sie auch groß sprechen im schutzsuchenden Verstecken, während die Mama lautstark dreckige Schuhe bemängelt, der Papa derweil solo alkoholische Ablenkung vom Daseinsverdruß findet. Fürsorge? Nur sehr bedingt, Cáit kann zum Beispiel noch immer nicht richtig lesen, wobei der Bildungshort ebenfalls seltsame atmosphärische Schwingungen aussendet, wenn Kinder auf dem Schulhof sich gegenseitig verprügelnde Mütter besingen. Anders formuliert, darf das Mädchen ziemlich froh drüber sein, daß die Eltern es aus finanziellen Erwägungen zu entfernten Verwandten abschieben, ein paar Monate. Oder länger. Oder ganz. Wer weiß.

Totale luftabschnürende Verengung also, welche die Regie optisch ins Bildseitenverhältnis 1,37:1 übersetzt – eine tatsächlich passende Visualisierung ohne Ruch technischen Schnickschnacks. Dazu funkelt sukzessive Licht, strahlt erst zaghaft rund um Cáit, später aus ihr heraus, flankiert von der katalysierenden Zuneigung besagter Pflegeeltern: Eibhlín ging sofort tröstend auf die verschlossene Seele zu und deren Bedürfnisse ein – da tragen am nächtens benäßten Bett natürlich „weinende Laken“ Schuld. Seáns Öffnung benötigt mehr Zeit, manifestiert sich über Gesten, Blicke, Gebrummeltes. Irgendwann reißt ein furchtbares Geheimnis Narben auf, eine tratschsüchtige Nachbarin plaudert’s aus. Seán meint dazu bloß, Eibhlín glaube an das Gute im Menschen. Und werde enttäuscht.

Diese Elegie eines Sommers inklusive Tendenz zur persönlichen Tragödie braucht keine üppige Handlung, ihr genügen neben dem wundervollen Ensemble zunehmend breitere Anflüge eines Lächelns auf Cáits so ernstem Gesicht. An Emotionsriffs brechende Charakterwellen. Etwas differenziertere Sicht auf die anfangs strikt umrissenen Familienstrukturen. Universelle Erkenntnisse, darunter Respekt als Basis jeder Liebe oder die Kontrawirkung falscher Scham.

So verweben sich hauchzarte Narrativfäden zum filmischen Feingespinst, eher gefühlt denn gesehen, erlebt denn erzählt bekommen, derart fragil, ihm fügt selbst die relativ dezent gehaltene Musikbegleitung beinahe Schaden zu. Es erblüht vorsichtig, funkelt dann kurz prächtig, vergeht schließlich wieder unaufgeregt still, geradezu schüchtern. Und stößt dabei sein Publikum völlig zerstört zurück in den alltäglichen Lärm.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...