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Wir (2003)

Gemeinsam einsam in der Hauptstadt

Aachen ist vorbei. Jetzt ist Berlin. Kaum angekommen, gerät der angehende Architekturstudent Florian an eine bunte Clique von Mittzwanzigern und direkt hinein in ein Leben zwischen Blümchentapeten und Bröckelputz, Kellerclubs und Kohleheizung.

Bei Judith und Anke wird ein Zimmer frei. Florian zieht ein und erfährt, was seine Großstadt erprobten Altersgenossen beschäftigt. Alle lieben Parties. Judith liebt Carsten. Der wiederum liebt vor allem Sex - auch mit Männern und am liebsten mit Pit. Anke studiert erst Soziologie, dann Psychologie und schließlich doch "was Handfestes" wie Theaterwissenschaften. Sie bringt das laue Lebensgefühl der Twens aus Martin Gypkens’ Babelsberg-Abschlußfilm so auf den Punkt: "Ich kann mich an nichts erinnern, außer daß ich ins Taxi gekotzt hab."

Hier ist die WG Basisstation für früh verbrauchte Einzelgänger mit Abitur. Schlaglichtartig, lose dem Zusammenhang der Ereignisse folgend, blendet sich Gypkens abwechselnd in die Einzelfälle seiner Gruppenstudie: Florians Affäre mit der eigentlich anderweitig verbandelten Metallkünstlerin Petronella samt entwaffnender Liebeserklärung: "Sie ist cool. Sie schweißt Möbel." Andreas, der schon immer einen Film machen wollte und kneift, wenn der Traum Wirklichkeit zu werden droht. Der unscheinbare Micky, den man erst wahrnimmt, als er aus der zähen Unentschiedenheit ganz entschieden und brutal ausbricht.

In ihren besten Momenten verströmt diese Befindlichkeitscollage Komik und emotionale Glaubwürdigkeit. Dagegen stemmen sich jedoch gesprochene Belanglosigkeiten, zum Beispiel über "den Osten", teils zu blaß, teils zu exotisch neurotisch geratene Figuren und das allgegenwärtige, zum Lebensstil erhobene Second-Hand-Flair. Also doch nur ein weiterer Werbespot für gut versorgte Konsumverweigerer, denen die Combo 2Raumwohnung unverdrossen ihre Lieder singt? Zum Hauptstadtblues um die Sehnsucht nach Provinz und die Angst vor zu vielen Möglichkeiten dreht sich eine Zigarettenschachtel auf dem Plattenspieler. Und hört man dem eigenen Herzschlag nur lange genug zu, meint man irgendwann, das Ohr am Puls der Zeit zu haben.

D 2003, 100 min
Verleih: Zauberland

Genre: Erwachsenwerden, Drama

Darsteller: Oliver Bokern, Knut Berger, Sebastian Songin, Jannek Petri, Rike Schmid, Lilia Lehner, Karina Plachetka, Patrick Güldenberg, Brigitte Hobmeier

Stab:
Regie: Martin Gypkens
Drehbuch: Martin Gypkens

Kinostart: 29.01.04

[ Sylvia Görke ]