Editorial 03/23

[ 02.03.2023 ] Denk ich ans deutsche Kino in der Nacht ... Nun, „Haßliebe“ griffe zu weit, weil ich das deutsche Kino eher mag, als es abzulehnen. „Bittersüß“ ist für Poesiealbumschreiber, sagen wir also „ambivalent“, auch wenn’s etwas lauwarm klingt. Trotz schmerzlicher Erfahrungen möchte ich nach drei Dekaden des Filmkritikverfassens noch immer das deutsche Kino mögen. Ich will mir Offenheit bewahren, denn immerhin war ich geradezu verschossen in manchen deutschen Film: VICTORIA, OH BOY, LOLA RENNT, BARBARA, DAS WEISSE BAND, HALBE TREPPE, WILD, ABSOLUTE GIGANTEN, HERRLICHE ZEITEN, DIE MITTE DER WELT, SYSTEMSPRENGER, DIE INNERE SICHERHEIT, IN DEN GÄNGEN, ICH FÜHL MICH DISCO, FACK JU GÖHTE, TONI ERDMANN, MÄNGELEXEMPLAR, BALLON, TSCHICK, HIN UND WEG, BERLIN ALEXANDERPLATZ, GOOD BYE, LENIN!, SONNENALLEE, AEIOU ... und jetzt eben in SONNE UND BETON.

Gut wurden die Filme vor allem dann, wenn Drehbuch, Regie, Produktion und Cast an einem Strang zogen, Egos sich anschmiegten, das große Ganze im Blick blieb. Und Redakteure der beteiligten Sender nicht reinquatschten. Oft sind die Filme dann auch an der Kasse erfolgreich, wenn diejenigen, die sie an die Hand nehmen, ihr Fach verstehen. Kinomarketing hat bei uns oft etwas furchtsam Gespreiztes. So war ich entsetzt, als ich Katalogtexte zu den deutschen Filmen der Berlinale las. Auch das ist ja letztlich Marketing. Kostprobe: „Ein Film als Rätsel, Spiegel, Traum, Puzzle: Der Mythos des Ödipus führt uns, zeitversetzt, von den 1980er-Jahren bis ins Heute, von den Stränden Griechenlands bis an die Seen um Berlin. Nüchtern, ein bißchen blutig, barock. Und elliptisch in Perfektion.“

Beim ersten Mal des Lesens befiel mich spontane Müdigkeit. Bei der Wiederholung dann pure Wut. So will man zum Kauf einer Kinokarte animieren? So sieht der Kitzel am schwer umkämpften Geschmacksgaumen aus? In dem Fall galt der verquaste Auswurf MUSIC von Angela Schanelec. Nun kenne ich und fürchte noch immer diverse Werke Schanelecs, der Kurztext wird dem Film sicherlich gerecht, aber genau das ist ja das Schlimme daran. So verkauft man Filme nicht. Bei Zahncreme schreibt man doch auch nicht nur drauf: Schmeckt! Obwohl, das wäre schon beinahe wieder was ... Sie wissen, was ich meine. Genau das fehlt mir beim deutschen Film manchmal, das Um-die-Ecke-Dings, das Verführerische.

Bei SONNE UND BETON fehlt mir gar nichts, da hat der Verleih den Autor Felix Lobrecht perfekt eingebunden, denn der wußte sehr genau, wovon er schrieb. Verkauf hat meines Erachtens immer etwas mit Versprechungen, in jedem Fall mit Glaubwürdigkeit zu tun. Trotz manch’ legitimer und sympathischer Mogelei – im Sinne des Erfolgs. Den Zuschauer jedoch bereits vor dem Filmerlebnis in den Schlaf zu treiben oder in Depression zu stürzen, das ist doch doof.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.