Originaltitel: ALCARRÀS

Spanien/I 2022, 120 min
FSK 6
Verleih: Piffl

Genre: Drama, Familiensaga

Darsteller: Jordi Pujol Dolcet, Anna Otin, Xènia Roset, Albert Bosch, Ainet Jounou

Regie: Carla Simón

Kinostart: 11.08.22

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Alcarràs

Ernte gut, alles gut?

Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen, bevor sich im Nacken die Haare beginnen aufzustellen. Die katalonische Sonne brennt aufs Grün der Plantagen, Kinder beißen unverstellt in Pfirsiche und Melonen, während am Hang schweres Gerät aufzieht. Das, was sich leichtfertig Fortschritt nennt, liegt auch im Nordosten Spaniens als Versprechen in der Luft. Die Alten lebten im festen Glauben, sie wären für ewig dort in Alcarràs, ihre Söhne und Töchter bekamen erste Zweifel, daß es gelingen würde, erst bei den Älteren der Enkelgeneration schlich sich eine lautere Ahnung ein, es könnte schiefgehen, während sich die Kleinsten noch vergnügen, als seien Schatten nur zum Kühlen da und nicht als Metapher für den Zwang zur Veränderung. In Familie Solé kommt alles zusammen und bald auch das Unheil. Wo es jahrzehntelang hieß: Ernte gut, alles gut, wird es bald heißen: Letzte Ernte gut, nichts mehr gut!

Opa hatte das Land einst per Handschlag erworben, doch Verträge, um gegen die neuen Sonnen-Investoren antreten zu können, sehen anders aus. Während Großvater nicht viel mehr bleibt, als in verdampfender Routine an Gewohnheiten festzuhalten, treibt es in diesem Sommer einen Keil in die Verwandtschaft. Qumet geht als Pater familias das Tagwerk an wie immer, während sich sein Schwager mit dem Bau von Solarpaneelen arrangiert, um das Morgen halbwegs im Blick zu halten. Früchte vom Baum zu holen, in Paletten zu legen, wilde Hasen zu schießen, sogar neue Pflanzen zu setzen, all das zieht Qumet stur durch. Wenn es gärt, dann nur in seinem Inneren und in Momenten der Tränen.

Roger, der große Sohn, zieht mit, die Kooperative lobt ihn für sein Können, doch sein keinesfalls gegenwartsblinder, offen für faire Preise protestierender Vater weiß, es sollte eher die Schule sein, die ihn lobt. Mit der einen Schwester, die es längst in die Stadt gezogen hat, legt sich Qumet nicht mehr an, mit Nati, der anderen, die nebenan wohnt, schon. Das Ende, offen? Wenn ALCARRÀS ein Märchen wäre, nur dann!

„Es war einmal“ interessiert Regisseurin Carla Simón nicht. Sie verdichtet eigene Erfahrungen mit fiktionalen Begebenheiten und webt aus ihrem Berlinale-Sieger ein zart-wuchtiges, sinnliches, pures Leben versprühendes Kinoerlebnis, von Laien getragen und ins Echte übersetzt, sich von Arbeit, Essen, Rangeln und Singen ernährend, vollfruchtig im Biß, bitter im Abgang.

[ Andreas Körner ]