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Ausgerechnet Sibirien

Unterm Tisch seh’n wir uns wieder

Hätte es Sie zufällig einmal nach Leverkusen verschlagen (warum auch immer), und sollte Ihnen dort beim Joggen ein offensichtlich unsportlicher Herr begegnet sein, der dem neumodischen und ach so diskreten MP3-Player mit einem überdimensionalen Disc-Man samt prächtig ausladenden Kopfhörern die Stirn bot, dann sind Sie vermutlich Matthias Bleuel über den Weg gelaufen. Ganz flüchtig, versteht sich. Denn Herrn Bleuels Schicksal wartet woanders, nämlich im sibirischen Kemerowo.

Daß Herr Bleuel „ausgerechnet“ dort landet, hat selbstredend berufliche Gründe. Und so trifft der stocksteife Logistikexperte eines mittelständischen Leverkusener Textilunternehmens, bewaffnet mit einem Parka für das ewige Eis, in der südsibirischen Handelsfiliale auf seine Nemesis: Galina, vollbusig, laut, verwickelt in allerhand Tauschgeschäfte und mindestens so trinkfest wie ihr Gatte. Weshalb nun Bleuels schwuler Vorort-übersetzer Artjom nach sechs Jahren Studium in Deutschland parliert wie ein eingeborener Teutone, was eine Libelle, der Kosmonaut Leonow und ein ehemaliger Schulfreund namens Holger in dieser Geschichte verloren haben, und wieso schließlich „ausgerechnet“ der schorische Kehlkopfgesang gleich ein ganzes schamanisch-transreligiöses Liebesabenteuer ins Rollen bringt?

Das Drehbuch nach einem Roman von Michael Ebmeyer hält sich mit solcherlei Fragen nicht weiter auf. Das Weithergeholte, das Zusammengereimte und Herbeigeredete ist quasi Programm, und zwar ausgerechnetes. Denn so komisch diese mit dem Metaphysischen flirtende Lockerungsübung für den sprichwörtlichen Erbsenzähler auch gedacht ist, so ernsthaft vertraut sie darauf, daß einem vor lauter Wodka, russischer Seele und Leverkusener Seligkeit die Sinne für das Sinnvolle vergehen, daß man die Abgegriffenheit der Klischees im Dusel übersieht, daß man schließlich glatt vergißt, wie sehr sich selbst die rührende Buchhalter-Attitüde von Joachim Król über die Jahre abgenutzt hat.

Allein, es will nicht immer gelingen – zwischen den Bildern ist Luft zum Denken, zwischen den Witzen ist manchmal peinliche Stille, in der man seltsame Sätze fallen hört. „Mach nicht so viel Angst vor Tomate“, heißt es da so schlicht wie wahrhaftig.

D/Rußland 2012, 100 min
FSK 0
Verleih: Majestic

Genre: Komödie, Literaturverfilmung

Darsteller: Joachim Król, Vladimir Burlakov, Yulya Men, Armin Rohde, Katja Riemann, Michael Degen, Zoya Buryak

Regie: Ralf Huettner

Kinostart: 10.05.12

[ Sylvia Görke ]