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Beasts Of The Southern Wild

Von Schmerz und Schönheit in einem Filmgedicht

Es schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort. Wußte schon Eichendorff und verrät weiter: „Und die Welt hebt an zu singen/ Triffst du nur das Zauberwort.“ Selige Romantik, noch wissend um einschlägige Zauberwörter, die Magie des Lebens, das filigrane Wunder der Existenz. Der Glaube an die Poesie und an die Kunst als Mittel, über die Grenzen der Offensichtlichkeiten hinaus das Leben zu durchdringen – das hat nichts mit Weltfremdheit zu tun, mit überreizter Versponnenheit. Mögen wir, am Geist der modernen Welt gestählte Zeitgenossen, vernunftbegabte Im-Leben-Steher, derlei auch gern unterstellen. Fest ankernd im Gefüge unserer westlichen Zivilisation.

Ganz nah an und doch fern von dieser, in den Bayous Louisianas, lebt auch dieser Haufen Außenseiter: halb von der Gesellschaft verstoßen, halb dieser entflohen. Kaputte Beseelte, die sich hier ihre Enklave, Bathhub genannt, erschaffen haben. Und die sich, trotz aller Widrigkeiten, kein anderes Leben und keinen anderen Ort für dieses vorstellen können. Mittendrin haust die kleine Hushpuppy allein mit ihrem Vater, dessen Liebe zur Tochter so wild ist wie seine Neigung zum Alkohol. Und dessen Herz an seiner Liebe, seiner Wildheit, seinem Saufen zu zerspringen droht. Hushpuppy spürt das, sie weiß um den Rhythmus auch versiegender Kraft. Hält ihr Ohr oft an den Brustkorb kleiner Vögel oder schlafender Schweine. Spürt das Leben pulsieren, hört die Welt singen. Und spürt die Gefahr, die droht. Den Sturm, die Flut. Die apokalyptischen Ur-Tiere, Auerochsen, gebrochen aus dem Eis der Pole, die auf dem Weg nach Bathhub sind.

Ja, die Welt hebt an zu singen, in Schmerz und Schönheit. BEASTS OF THE SOUTHERN WILD zeigt beides. Schmerz und Schönheit in einem Filmgedicht, dessen Melodie einen trunken macht. In dem sich ungeschminkter sozialer Realismus mit Imagination, Spiritualität und Poesie auf ganz selbstverständliche, unaufdringliche Weise verwebt. Sich die Wirklichkeit transzendiert. Derlei vermag – so pathetisch darf das hier gesagt werden – nur echte Kunst. Regisseur Benh Zeitlin hat die mit seinem Langfilmdebüt geschaffen. Gedreht an Originalschauplätzen, mit Laiendarstellern und mit Bildern, die aus einem dokumentarischen Beobachten immer wieder in die kunstvolle Komposition münden. Das fließt in einer meditativen Bewegung, die in Panoramen schwenkend Landschaftsbilder malt, lange in Gesichter schaut, Kleinigkeiten in Stilleben festhält. Man sieht diese Welt mit den Augen Hushpuppys – und sieht zugleich immer wieder auch in die Augen dieses unglaublichen Mädchens. Sieht ihr beim Sehen zu, erkennt mit ihr.

Die zu den Dreharbeiten noch keine sechs Jahre alte Quvenzhané Wallis spielt Hushpuppy mit einer Kraft und Natürlichkeit, die einem fast schon etwas unheimlich wird. Man muß lange überlegen, wann man im Kino je so einen gegen den Strich gebürsteten und doch durch und durch authentisch leuchtenden Kindercharakter zu sehen bekommen hat. Für den Charakter dieses Films gilt das nicht minder. BEASTS OF THE SOUTHERN WILD ist ein kleines Wunder, über die Grenzen der Offensichtlichkeit weisend. Ein Zauberwort-Volltreffer.

Originaltitel: BEASTS OF THE SOUTHERN WILD

USA 2012, 92 min
FSK 12
Verleih: MFA

Genre: Poesie, Fantasy, Drama

Darsteller: Dwight Henry, Quvenzhané Wallis

Regie: Benh Zeitlin

Kinostart: 20.12.12

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.