Originaltitel: CRIMES OF THE FUTURE

Kanada 2022, 109 min
FSK 16
Verleih: Weltkino

Genre: Science Fiction, Horror, Drama

Darsteller: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristen Stewart, Scott Speedman

Regie: David Cronenberg

Kinostart: 10.11.22

6 Bewertungen

Crimes Of The Future

Aus Erfahrung gut

Julia Ducournaus Gewinn der Goldenen Palme für TITANE dürfte David Cronenberg sehr freudig gestimmt haben. Ihm gelang dies nämlich nie, obwohl sein unbeirrt abseitiges Schaffen ihren Weg ebnete, die trotzdem aufschreiende Filmwelt darauf vorbereitete, mit jeder skurrilen Idee, all seinen bizarren Werken, abgesehen von zuletzt hollywoodesken Schlangenlinienschlenkern der Marke EINE DUNKLE BEGIERDE oder MAPS TO THE STARS. Aber Cronenberg nimmt nun (endlich) die Ausfahrt – wehret den Anfängen!

Direkt zu Beginn tötet eine Mutter ihren kleinen Sohn. Weil er anders ist und ißt, plastiklastige Ernährung bevorzugt. Später wird die Leiche obduziert, da muß man hinschauen wollen. Oder aus dem Saal flüchten. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Cronenberg siegt, der Meisterprovokateur kennt die Regeln des Herausforderungsspiels natürlich ganz genau. Und es scheint, als würde er lustvoller denn je, manchmal gar augenzwinkernd, eintauchen in ein Universum, dessen Schrecken Normalzuschauer lieber fliehen möchten.

Sie würden damit jedoch Viggo Mortensens denkwürdige Vorstellung verpassen. Er mimt Saul Tenser, ein Performancekünstler, dem ständig bislang unbekannte Organe wachsen. Partnerin Caprice schneidet sie öffentlich raus – schon echtes Glück für Saul, daß hiesige Menschen keinen Schmerz fühlen. Weiterer Vorteil daran: Man kann beim neumodischen Sex ohne Hemmungen kleckern! Leicht störend bloß die pausenlos propagierte ausufernde humane Evolution – wegen derer sich bald neben dem Organregister eine zwielichtige Untergrundformation interessiert einschaltet.

Mehr sollte man nicht wissen, darf es nicht, übersteht ihn besser selbst, jenen Abstieg in einen Moloch aus alptraumhaften Bildern, Berufsbezeichnungen à la „Biomorphologie-Koordinatorin“ – Bürokratie lebt ewig – und fast Gigerschen Apparaturen, getaucht in erdige Töne, Akzente setzen wenig kühles Blau und einige blutrote Spritzer. Cronenberg stiehlt sich durch fünf Dekaden Arbeit, mixt neues VIDEODROME-Fleisch, das Motiv wissenschaftlicher Verfehlung aus DIE FLIEGE, insektoides Design und Gesichtsversehrungen wie in NAKED LUNCH und CABAL, aus körperlicher Verstümmelung geborene CRASH-Erotik. Und, und, und. Geht er etwa in Rente? Falls der alte Wilde tatsächlich an Abschied dächte, bräuchte ihm indes kaum bange sein: Ducournau greift nur zu gern nach seinem Zepter.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...